Nachbericht | Venedig: Sebastián Irarrázaval - „Die Form folgt dem Planeten'
Am 09. November 2021 setzte sich die Vortragsreihe „November Talks“ der Sto-Stiftung in Venedig fort. Mit einem bemerkenswerten Postulat eröffnete der Referent des Abends, Sebastián Irarrázaval, seinen Vortrag: Es sei vor allem die Höflichkeit grundlegend für die Gestaltung des Raums.
„Höflichkeit als ein primäres menschliches Verhalten ermöglicht es uns, mit der Anwesenheit anderer umzugehen. Höflichkeit gestaltet und artikuliert unsere Interaktion mit dem Anderen, dem geliebten Menschen, dem Gegner, dem Familienangehörigen und dem Fremden“. So stieg der chilenische Architekt Sebastián Irarrázaval in seinen Vortrag im Rahmen der diesjährigen November Talks in Venedig ungewohnt und ungewöhnlich in das Thema „Die Form folgt dem Planeten“ ein. Er fügte Bauen, Design und Architektur in einen besonderen Kontext. „Die Höflichkeit lehrt uns, wie man mit ‚Willkommen sein‘ und Ablehnung umgeht. Die Höflichkeit lehrt uns, wann wir berühren dürfen und wann nicht, und sie lehrt uns die subtilen Arten der Berührung. Höflichkeit lehrt uns, wie wir uns verhalten sollen, wenn wir Fremde sind“, führte der Referent aus.
Sebastián Irarrázaval schlug in seinem Vortrag vor, Höflichkeit als grundlegende Eigenschaft für die Gestaltung des Raums auf unserem Planeten zu betrachten. Denn sie verbinde die Designstrategie und die Auslegung mit dem umfassenden Thema der Sorge um den Planeten und die Gesellschaft. Für ihn umfasst Höflichkeit Fürsorge, Koexistenz, Eingliederung und Kommunität sowie Immunität. „Es sind Begriffe, die es mehr als notwendig zu kultivieren gilt, um die Umweltkrise zu überwinden“, gibt Irarrázaval zu bedenken. Die Höflichkeit lehre uns, aus uns selbst herauszugehen und uns gegenüber dem unendlichen Anderssein zu öffnen. „Höflichkeit lehrt uns auch, die Signale der anderen zu übersetzen“, erläutert er. „Ein guter Übersetzer und Architekt zu sein, bedeutet deshalb auch, ein perfekter Hausherr zu sein.“
So drehten sich die Design-Projekte, die der 54-jährige dem Auditorium vorstellte, um die Begriffe der Koexistenz, Fürsorge und Pflege. In einem Kontext zunehmender Anfälligkeit sowie zur Schaffung einer besseren Immunität und besserer Gemeinschaften befassen sich diese Projekte mit der Abgrenzung des Gebäudes als wichtigstem Interventionsbereich. Unter dem Motto „Die Form folgt dem Planeten" präsentierte Irarrázaval fünf architektonische Projekte, die jeweils je nach den Besonderheiten des Ortes und den Bedürfnissen des Auftraggebers zu interpretieren sind.
„Die Form folgt der Kom/(Im)munität“ – so lautet die Überschrift über der Restaurierung eines denkmalgeschützten Gebäudes im Pueblo Huemul von Santiago de Chile, das in eine öffentliche Bibliothek für Kinder umgewandelt werden soll. Unter dem Gedanken „Die Form folgt der Erhaltung“ stellt Irarrázaval die Selbsterhaltung als dominierende Angelegenheit schon in den ersten Entwurfsphasen für ein öffentliches Bauwerk dar, beispielweise das Theater für das Dorf Mataquito. Unter das Motto „Die Form folgt den Gepflogenheiten“ wurde die Umwandlung der Arena in ein neues Hotel in Patagonien gestellt; es widmet sich dem chilenische Rodeo-Ritual, das zunehmend verlorengeht und neuen Massenritualen im Zusammenhang mit dem Tourismus weicht.
Das abgeschlossene Projekt unter dem Leitgedanken „Die Form folgt der Sorgfaltspflicht“ ist ein von Irarrázaval entworfenes Haus am Meer. Schließlich stellte der Architekt ein realisiertes Schulprojekt unter das Motto „Die Form folgt den unterschiedlichen Fähigkeiten“ vor: Es handelt sich um das integrale Bildungszentrum für behinderte Kinder „Jena Luis Undurraga“ in Talagante und entstand im Auftrag einer privaten Stiftung. Alle Arbeiten wurden weitestgehend standortspezifisch konzipiert.
Das hochaufgelöste Bildmaterial finden Sie hier zum Download.
Alle Nachberichte, auch der anderen Standorte, stellen wir Ihnen nach und nach ebenfalls zur Verfügung. Sie finden diese Daten unter folgendem Link zum Download.
Ein Kurz-Interview mit Sebastián Irarrázaval finden Sie auf unserem YouTube-Kanal.
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