„So einen Freiraum bekommt man nicht so schnell wieder“
Der Innenarchitekt Simon Ulfstedt hat als einer der ersten Studenten im Jahr 2011/2012 das Interior Scholarship, ein gemeinschaftliches Stipendium der AIT und der gemeinnützigen Sto-Stiftung, absolviert. Er ist derzeit für das interdisziplinäre Büro „Ply-Atelier“ in Hamburg tätig, ein Studio für Architektur, Innenarchitektur und Produktdesign. Im Interview schaut er zurück auf seine Zeit als Stipendiat und gibt angehenden Innenarchitekten einen Einblick in seine Arbeit und Tipps für die Karriere.
Herr Ulfstedt, wie sah Ihr schulischer und beruflicher Werdegang aus?
Schule war für mich nie ein Ort, an dem ich mich aufgehoben fühlte. Ich habe meine Energie mehr aufs Praktische gerichtet. Nach dem Zivildienst und einer Ausbildung zum Holzbootbauer war ich für dreieinhalb Jahre als reisender Handwerksgeselle in der Welt unterwegs. Ich habe u. a. in Schweden, Finnland, Oman und auf Kuba gearbeitet. In der Zeit konnte ich Erfahrungen sammeln, beruflich wie auch aus dem Leben selbst. Dabei ist in mir die Idee gereift, Innenarchitektur zu studieren. Mit der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle habe ich dafür die richtige Hochschule gefunden.
Warum ausgerechnet dort?
Ich bin zufällig auf einer Jahresausstellung der Hochschule gewesen und habe die brennende Leidenschaft der Studierenden gespürt, mit der sie an ihren Projekten gearbeitet haben. So intensiv hatte ich das zuvor nicht oft erlebt. Das hat mich inspiriert, daran wollte ich teilhaben und genauso „in Flammen aufgehen“. Umso glücklicher war ich über meine Aufnahme. Ich bin sehr dankbar für die Zeit, die ich dort verbringen durfte!
Warum haben Sie sich für den Beruf des Innenarchitekten entschieden?
Ich habe mich schon als Bootsbauer sehr intensiv mit dem Raum an sich auseinandergesetzt – auch mit dem zu Verdrängenden, also dem Wasser. Ich hatte immer eine genaue Vorstellung davon, wie Räume nicht sein sollten, und fand es faszinierend, mit dem, was sein könnte, zu spielen! Auch unterschiedlichste Baumaterialien fand ich immer spannend. Außerdem war mein Großvater Architekt, Bauhäusler, in der Klasse von Moholy-Nagy – diese Steilvorlage wollte ich mir nicht nehmen lassen.
Wann haben Sie das erste Mal von der Sto-Stiftung erfahren?
Das war bei der Ausschreibung für das AIT-Stipendium der Sto-Stiftung Interior Scholarship. Ich hatte darüber im AIT-Magazin gelesen und mich, wie viele andere auch, dafür beworben.
Was hat Sie motiviert, sich für das Stipendium zu bewerben?
Die finanzielle Unterstützung von bis zu 1.000 Euro im Monat für ein ganzes Jahr war ungewöhnlich hoch. Damit konnte ich mich völlig auf mein Studium konzentrieren und hatte nicht den Druck eines zusätzlichen Nebenjobs.
Wie haben Sie von dem Stipendium profitiert?
Es war eine spannende und produktive Zeit, auch dank des finanziellen Freiraums. Ich habe ein halbes Jahr in Istanbul in der Türkei verbracht. Mit der Unterstützung durch die Sto-Stiftung konnte ich meinen Aufenthalt in Istanbul sorgenfrei finanzieren. In dieser diversitären Stadt neugierig sein und experimentieren zu dürfen – eine intensive und perfekte Zeit! Ich habe mich völlig auf mein Studium gestürzt, Projekte und Ideen entwickelt. Zum Beispiel mit einer Studie zum Thema: „Wie und wo, vor allem worauf, sitzen Menschen in Istanbul?“ Ich habe mich dazugesetzt und beobachtet. Was für ein Luxus!
Welche Erfahrungen haben Sie genau gemacht und wie können Sie diese in Ihre Arbeit einbringen?
Bei Projekten muss man hin und wieder schnell umdenken, komplexe Strukturen so zusammenbringen, dass sie händelbar werden. Wenn die Luft etwas dicker wird, ist es oft erst richtig spannend. Mein Ziel ist es, dass die Baustelle trotzdem noch zufriedene Bauherren gebiert.
Würden Sie Studierenden empfehlen, sich für das Stipendium zu bewerben?
Auf jeden Fall! Es ist doch ein wahnsinniges Geschenk, wenn größere Institutionen ihre Potenziale nutzen und junge Menschen in ihrer Ausbildung unterstützen. Langfristig profitieren alle davon!
Was könnte man am Stipendium insgesamt noch verbessern?
Wir waren die ersten Stipendiaten des Projekts. Zu unserem Glück konnten wir alles ausschöpfen, was möglich war. Aber nach dem Stipendium wäre es schön, eine Möglichkeit zu haben, in weiteren Kontakt mit den Kollegen zu kommen.
Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Arbeit jetzt und wie geht es bei Ihnen beruflich weiter?
Ich arbeite als Innenarchitekt in einem interdisziplinären, sehr dynamischen Büro in Hamburg. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt aktuell beim Thema „New Work“.
Was bedeutet das?
Das steht für das Entwickeln neuer Arbeitswelten, also hauptsächlich für Büros. Dabei geht es um neue Aufenthaltsqualitäten. Ich selbst habe mich nicht konkret spezialisiert; habe eher Erfahrungen im Hochbau gesammelt und gemerkt, dass ich wieder an Projekten arbeiten möchte, bei denen es schneller zur Umsetzung kommt, was im Hochbau eher nicht der Fall ist. Da unser Büro sich auch auf andere Schwerpunkte konzentrieren kann, ist das für mich ein spannender Arbeitskontext, an dessen Lösungsweg ich sehr gern beteiligt bin.
Was ist für Sie gute Innenarchitektur zum Beispiel in einem Büro?
Gute Innenarchitektur definiert sich für mich über kluge und spannungsreiche Raumqualitäten, die auch eine komplexe Atmosphäre im Raum schaffen. Da das Spektrum der Innenarchitektur aber mittlerweile sehr breit gefächert ist, fällt mir eine Kernaussage im Allgemeinen hier sehr schwer.
Die Corona-Pandemie zwingt viele zum Arbeiten im Homeoffice. Was sagen Sie als Experte für „New Work“, wie wird Corona unsere Arbeitswelt verändern?
Die Arbeitswelt ist im Wandel, nicht erst seit Corona. Ich glaube, dass der Schub, der jetzt durch Corona stattgefunden hat, die Arbeitswelt in den kommenden fünf Jahren völlig umkrempeln wird – hin zu mehr Digitalisierung und flexiblen Lösungen. Auch das Design der Arbeitsräume wird sich ändern, und zwar in die Richtung von Office-Lösungen hin zum Umfeld eines Homeoffice.
Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Arbeit?
Ich laufe und beobachte gern. Da ich ursprünglich aus dem Schwarzwald komme, finde ich dort bei Wanderungen neue Ideen. Die meisten Ideen bekomme ich jedoch im Austausch mit anderen. Gemeinsam nach neuen Lösungen suchen, sich weiterentwickeln – das ist sehr inspirierend.
Was machen Sie in Ihrem Beruf am liebsten?
Das Studium an der Burg hat uns darauf vorbereitet, als Generalisten ins Leben zu ziehen. Davon profitiere ich bis heute. Als Bootsbauer gestehe ich mir aber auch ein, dass mir das Schaffen mit den Händen Freude macht und hin und wieder fehlt. Beides irgendwann zu verbinden motiviert mich, ist mein Ziel. Als besonders bereichernd empfinde ich die Begegnungen mit Bauherren, Handwerkern und Kollegen.