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Nachbericht | Mette Lange bei der November Reihe 2017 in Graz

Die erste Geige spielt das Dach

Wenn die reduzierte Einfachheit skandinavischen Designs auf die chaotische Buntheit Indiens trifft, ergibt das die einmalige Handschrift der dänischen Architektin Mette Lange. Ihr Vortrag am 30. Oktober 2017 bildete den Auftakt für die „November Talks 2017“ und nahm die Besucherinnen und Besucher in der Aula der Alten Technik in Graz mit auf eine schwungvolle Reise zwischen Kontinenten, Kontrasten und Konstruktionen.

In Skandinavien stehen den dunklen, kalten Wintern milde Sommer mit langen Tagen entgegen. Sie treiben die Bevölkerung seit Jahrhunderten in Scharen hinaus auf das Land, wo Sommerresidenzen zum traditionellen Kulturgut geworden sind – zuerst für die Reichen, dann für jedermann. Mette Lange, geboren in Gentofte, nördlich von Kopenhagen, stimmt das Publikum mit poetischen Bildern auf ihren Vortrag ein. Dänische Sommerhäuser stehen für das Skandinavische am Design: Aufs Wesentliche reduziert, mit klaren Formen, praktisch und ästhetisch. „Diese Häuser sind für uns das Tor zur Natur, sie reflektieren, wer wir sind“, unterstreicht Mette Lange die Eindrücke an der Leinwand: endlose Natur, das sanfte Sonnenlicht des nordischen Sommers. Dazwischen schwarze Holzhäuser mit strahlend weißen Fenstern und Türen, darauf Strohdächer. Das auffälligste klassische Sommerhaus besteht überhaupt nur aus einem riesigen, spitzen Dach. Ja, das Dach: Es spielt in Langes Architektur eine tragende Rolle. „Dach, Plattform, Licht“ – das ist ihre persönliche Triade der Architektur. „Und das Dach spielt die erste Geige“, betont sie.

Mette Lange schloss ihr Studium an der Royal Danish Academy for Fine Arts im Jahr 1990 ab und gründete ihr eigenes Studio, Mette Lange Architects, im Jahr 2002. Heute hat sie sich auf eine kleine Nische spezialisiert, in der sich ihre Ideen in einem ganz speziellen Stil entfalten: Sie gestaltet Sommerhäuser, inspiriert von dänischer Tradition, aber immer am Puls der Zeit, erweitert um moderne und mutige Elemente. Das Haus Havblik etwa, erbaut 2015, steht auf einem Hügel und blickt in die unendliche Weite der Natur hinaus. Dennoch wirkt es nicht dominant, es fügt sich zurückhaltend in die Landschaft ein. Die Holzkonstruktion bleibt im Inneren bewusst entblößt – Bewohner und Besucher spüren hier das urige Handwerk alter dänischer Ferienhäuser. In Nekseløbugten wurde 2012 ein weiteres Lange-Sommerhaus erbaut. Es steht auf einer Landzunge, und das Meer hat man von der Terrasse aus nicht nur visuell im Blick: Das Gestein für den Zugangsweg stammt von der lokalen Küste. Auffällig ist der Eingang des Gebäudes: Er ist im Vergleich zum zarten Bau sehr groß ausgefallen – offen wie ein Scheunentor, ist man versucht zu sagen, und damit liegt man richtig: „Die Scheune ist der Archetyp menschlichen Bauens“, erklärt Lange. Der große Eingang ist also ein weiteres Zitat aus dem fülligen Geschichtsbuch über skandinavische Bautradition.

Beim Sommerhaus-Projekt in Spættevej und in Præstø, die beide 1997 gebaut wurden, blitzt bereits ein weiteres Element von Langes Architektur durch: ihre Verbindung zu Indien. Die beiden Häuser grenzen an eine Blumenwiese, die wie das Meer eine unendliche Weite vermitteln. Die Gebäude sind auf Pfählen errichtet. Die schwarz getäfelten Wände und die Säulen sind es, die vom Stil her nicht zu Skandinavien passen. Sie erinnern an eine antike römische Villa – oder eben an indische Baukunst. Seit über 25 Jahren ist Indien die zweite Heimat von Mette Lange. Eines ihrer ersten Projekte dort war das Kiranpani-Haus, das im Jahr 2000 fertiggestellt wurde. Auftraggeber war eine europäische Familie, die den Winter im Nordteil von Goa verbringt. Die Residenz steht auf einem Hügel, von wo man den Dschungel mit dem Fluss Tiracol sehen kann. Roter Lavastein dominiert den Bau, auf der Terrasse spürt man die Frische des Urwalds, ein willkommener Kontrast zur herrschenden Hitze. „Ich möchte alle Sinne ansprechen, und ich liebe die Einfachheit“, betont Lange. Statt auf eine Klimaanlage setzt das Gebäude in den Schlafräumen auf natürliche Belüftung durch Schlitze. Die Straße verläuft an der Oberseite des Hügels – von hier ist das Haus unsichtbar. Es verschwindet perfekt in der umgebenden Natur.

In Indien verfolgt Mette Lange seit 2001 jedoch noch ein völlig anderes Architekturprojekt: Sie baut „Moving Schools“ für nomadische Kinder im nordindischen Staat Gujarat, deren Eltern als Fischer oder Ziegelarbeiter saisonal den Wohnort wechseln. Die Bambusbauten stehen entweder auf Rädern oder schwimmen auf Fässern und bieten Platz für bis zu 20 Kinder – klassische indische Schulklassen haben sonst bis zu 60 Kinder. Über 10.000 Schülerinnen und Schüler haben in diesem Projekt bisher ihre Volkschulausbildung abschließen können. Das Programm läuft jetzt langsam aus: Die Regierung hat mittlerweile begonnen, die Verantwortung für diese armen Kinder zu übernehmen. „Indien hilft mir, meine Sinne zu schärfen“, betont Lange. Das bunte Chaos bilde einen Kontrast zur klaren „skandinavischen DNA“, die sich ihren Projekten wiederfinde. Außerdem gibt ihr Engagement gegen Kinderarmut ihrer Arbeit eine tiefere Dimension: „Meine Rolle als Architektin ist, etwas Sinnvolles zu schaffen, etwas, das Bedeutung hat.“ Wobei sie sich auf die kleinen Dimensionen spezialisiert hat: „Ich mag das Kleine, etwas, das man angreifen kann.“ Ein Zugang, der sich sowohl in den Sommerhäusern als auch in den Bambus-Schulen widerspiegelt.

Mette Lange, geboren in Gentofte, Dänemark, absolvierte die Royal Danish Academy for Fine Arts in Kopenhagen. 1996 gründete sie mit Anders Linnet das Studio Linnet & Lange ApS und spezialisierte sich auf Fassadenrenovierung. Nach der Gründung ihres eigenen Studios, Mette Lange Architects, im Jahr 2002 teilt sich ihr Arbeitsjahr in einen Sommer in Dänemark und einen Winter in Indien, wo sie ebenfalls ein Studio betreibt. Das Projekt „Moving Schools“, das nomadischen Kindern eine Schulbildung ermöglicht, gewann etliche Preise und wurde unter anderem bei der Biennale in Venedig ausgestellt.

November Reihe

Die November Reihe mit hochinteressanten Vertretern der zeitgenössischen Architektur gibt es mittlerweile an sechs europäischen Universitäten in Graz, London, Mailand, Paris, Prag und Stuttgart. Die Sto-Stiftung fördert die Veranstaltungen.

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