Nachbericht | Annette Gigon bei der November Reihe 2017 in Stuttgart
Zum zweiten Termin der November Reihe in der Architekturfakultät der Universität Stuttgart am 15. November 2017 war die Schweizer Architektin Annette Gigon des Zürcher Büros Gigon / Guyer zum Werkvortrag eingeladen. Der Hörsaal war wieder über den letzten Platz hinaus gefüllt. Peter Cheret, Professor am Institut für Baukonstruktion und Entwerfen und Initiator des jährlich stattfindenden Architekturforums, begrüßte das Auditorium herzlich und stellte die Referentin vor.
Gemeinsam mit ihrem Büropartner Mike Guyer gründete Annette Gigon 1989 das gemeinsame Architekturbüro Gigon / Guyer, nachdem die beiden ihr Diplom an der ETH Zürich absolviert hatten. An den Ort der Lehre zog es die Architektin bereits 2001, zunächst als Gastdozentin an der EPFL Lausanne und an der ETH Zürich, an der sie seit 2012 als ordentliche Professorin am Lehrstuhl für Architektur und Konstruktion gemeinsam mit ihrem Büropartner lehrt.
Dass sie sich mit ihrem Büro nicht auf bestimmte Bautypologien oder eine spezifische Formensprache, also einen „Gigon / Guyer-Stil“, festgelegt haben, zeigte sich in Annette Gigons Vortrag. Sie präsentierte Projekte mit unterschiedlichen Bauaufgaben und Nutzungen, deren Spektrum von Museumsbauten über Bürogebäude bis hin zu Wohnungsbauprojekten reichte, diverser Größe und mit unterschiedlichen Planungsansätzen.
Doch was sich wie ein roter Faden durch die Arbeiten Gigon / Guyer zieht, ist ein ausgeprägtes Gespür für Materialität, Haptik und Textur, die ihre Bauwerke auszeichnen. In Form unterschiedlicher „Vorhänge“, wie Annette Gigon die Hülle der Gebäude charakterisiert, verhelfen textile Strukturen monolithischen Baukörpern zu einer Leichtigkeit und Transparenz.
Am windmühlenartig angelegten Bürokomplex für die Schweizer Bank UBS an der Lagerstraße in Zürich, den die Architektin zu Beginn des Vortrags vorstellte, machte sie deutlich, was der Einsatz unterschiedlicher Materialien bewirkt. Zwar fügen sich die Baukörper, die von drei unterschiedlichen Architekturbüros realisiert wurden (neben Gigon / Guyer waren hier Max Dudler und David Chipperfield tätig), harmonisch zusammen und sind durch Brücken und mehrgeschossige Durchgänge miteinander verbunden. Doch die transparente und leicht anmutende Struktur aus metallisch bedampften Glas, das sich wie ein feines Gewebe über den Baukörper legt, lässt das Gebäude aus der Reihe tanzen.
Auch das perforierte Tetra-Blech, dass das Kunst-Depot, Galerie Henze & Ketterer in Wichtrach einhüllt, mutet eher wie ein flatternder, leichter Vorhang als eine schwere metallene Haut an. Mit der Durchlässigkeit spielt das Büro auch bei der Erweiterung einer neoklassizistischen Villa, die durch eine Loggia aus einem Betonkörper und einem Überbau aus Metallstäben, der sich wie eine Korbstruktur auf das starke Fundament setzt, ergänzt wurde.
Über das Spiel mit Form und Materialisierung hinaus konnte am Prime Tower in Zürich ein weiterer wichtiger Aspekt im Schaffen von Gigon / Guyer gezeigt werden: Die Kommunikation mit der Umgebung. So verändert der Turm sein Erscheinungsbild von schlank zu breit über Auskragungen und Rücksprünge und seine Oberfläche von spiegelnd über reflektierend bis hin zu einem Äußeren, das von Zeit zu Zeit auch Einblicke ins Innere zulässt.
Dass die Architekten bei Ihren Arbeiten immer die Umwelt und die nächste Umgebung im Blick behalten und mit Ihren Bauwerken intelligent darauf eingehen, zeigt sich, wenn sie beispielsweise die Lage und Positionierung von geöffneten und geschlossenen Flächen an der Umwelt ausrichten. Auch bei der Wahl der Belichtung wählen sie ungewöhnliche Dachformen, um die Beleuchtung durch natürliches Licht zu gewährleisten.
Zwar zeigt sich in den Projekten von Gigon / Guyer keine Spezifizierung in der Wahl der Stilelemente, Formensprache oder Bautypologie, doch klar auszumachen ist eine Spezialisierung auf den Umgang von Materialität und deren vorbildlicher und gekonnter Einsatz als auch das Spiel von Innen und Außen, Einblicken und Ausblicken und der Einbezug der Umgebung, die die Bauten von Gigon / Guyer einzigartig machen und die Vielschichtigkeit des Büros unterstreichen.
November Reihe
Die November Reihe mit hochinteressanten Vertretern der zeitgenössischen Architektur gibt es mittlerweile an sechs europäischen Universitäten in Graz, London, Mailand, Paris, Prag und Stuttgart. Die Sto-Stiftung fördert die Veranstaltungen.