Massimo Lepore und Simone Sfriso | TAMAssociati | Venedig
Die diesjährige Novemberreihe wurde von TAMAssociati eröffnet. Das italienische Architekturbüro hat sich mit Entwürfen für Gesundheitseinrichtungen in Schwellenländern international einen Namen gemacht. Bei seinen zahlreichen sozialen und humanitären Projekten verfolgt das Büro einen nachhaltigen Ansatz, der einespezielle Architektursprachemit lokalen Bedürfnissen und lokalen Ressourcen verbindet.
Für TAMAssociati erweitert Architektur die Möglichkeiten von Individuen, sie bietet Räume der Inklusion, in denen die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen und gleichberechtigt interagieren können, sie beeinflußt die Emotionen von Menschen, bietet alternative Visionen für die Wahrnehmung und Bewältigung potenzieller Konflikte, und sie kann dazu dienen, den von Armut und Krieg betroffenen Menschen Hoffnung und Respekt zurückzugeben.
In Zusammenarbeit mit der italienischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Emergency, die Zivilisten in Kriegsgebieten medizinisch versorgt, hat TAMAssociati Gesundheitseinrichtungen in Italien, Afrika und im Mittleren Osten realisiert.Als erstes Projekt präsentierte Massimiliano Lepore das Anabah Maternity Center. Kennzeichnend für diese Gesundheitseinrichtung im Panjshir Talsind eine klare Ästhetik, natürliche Materialien und nachhaltige Strategien. Auch bei diesem Projekt dominieren in Anlehnung an das Logo von Emergency die Farben Weiß und Rot, die auch dazu dienen, die verschiedenen Ebenen voneinander abzugrenzen. Der Komplex besitzt eine betont einfache Struktur mit einem auf Pfeilern ruhenden, geneigten Dach und strategisch platzierten quadratischen und runden Fenstern. Ein weiteres aktuelles Projekt ist das Gesundheitszentrum im Flüchtlingslager Qoratu im Irak. In Kurdistan gibt es derzeit über 2,5 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene, die in Lagern Zuflucht vor den kriegerischen Auseinandersetzungen suchen. In drei dieser Lager hat Emergency seit dem Sommer 2014 vier Gesundheitszentren eröffnet, in denen eine hochwertige und kostenlose medizinische Versorgung angeboten wird. Bei diesem Projekt übernimmt die Architektur zugleich die Funktion eines sozialen Mediums, das den Geflüchteten ihre Würde zurück gibt und ihnen vor allem Hoffnung vermittelt. Neben den Grundfarben Weiß und Rot tritt hier das Grün der Freiflächen und Spielplätze in den Vordergrund, die das Zusammenleben im Camp in physischer und psychologischer Hinsicht verbessert haben. Der ganzheitliche Plan, Kriegsopfern eine kostenlose und hochwertige, medizinische und chirurgische Versorgung zu bieten, führte TAMAssociati auch nach Afrika, wo das Büro 2011 im Sudan das Nyala Pediatric Centre realisierte. Dieses medizinische Versorgungszentrum für gleich sieben Flüchtlingslager gruppiert sich um einen Baobab-Baumriesen, der die Innenhöfe des Komplexes beschattet. Für die natürliche Belüftung des chirurgischen Zentrums ließen sich die Architekten vom Badgir inspirieren. Dieser traditionelle Windturm fungiert gleichzeitig als weithin sichtbares Wahrzeichen.
Nachdem TAMAssociati 2013bereits für das “Salam” Centre for Cardiac Surgery in Khartoum mit dem Aga Khan Award for Architecture ausgezeichnet worden war, folgte 2014 eine weitere Ehrung in Gestalt des Zumtobel Group Award für das Paediatric Centre in Port Sudan.In Italien hat TAMAssociati 2014 und 2015 in Zusammenarbeit mit Emergency im Rahmen des Projekts Programma Italia zwei Ambulanzzentren realisiert. Sie bieten Menschen, die es sich nicht leisten können, eine kostenlose medizinische Versorgung. Das Programm wurde ins Leben gerufen, um in den vom Flüchtlingszustrom besonders betroffenen südlichen Landesteilen die medizinische Versorgung zu verbessern. Zusätzlich zu den Gebäuden entwickelte TAMAssociati zwei mobile Kliniken. Eine 2011 aus zwei ausgedienten Touristenbussen, und zwei weitere 2014 aus Wohnmobilen. Für die temporäre Stationierung an Flüchtlingsbrennpunkten gedacht, sind diese mobilen Einheiten ein verlässliches Hilfsmittel für die Bereitstellung von medizinischer Versorgung dort, wo sie gerade gebraucht wird.
2016 kuratierte TAMAssociati eine Ausstellung auf Einladung von Alejandro Aravena, dem künstlerischen Leiter der Biennale Venedig, die unter dem Titel “Reporting from the front” stand..Die Ausstellung mit dem Titel “Taking Care” beschreibt die Rolle der Architektur angesichts der globalen Herausforderungen unter Bezugnahme auf die Probleme und Strategien im In- und Ausland. Simone Sfriso veranschaulicht anhand einer Reihe von interessanten Projekten im Bereich der Gesundheitsversorgung, wie die Architektur den Gedanken des “Taking Care”, also der Fürsorge,so umsetzen kann, dass sich die Situation von Flüchtlingen und Immigranten verbessert. Die Ausstellung im Italienischen Pavillon ist in drei Abteilungen gegliedert und soll die Besucher zum Nachdenken über ihre Vorstellung von Gemeinwohl anregen.Anhand einer Reihe von Projekten wird gezeigt, welchen Nutzen gebauter Raum für die Gesellschaft haben kann, verbunden mit der Frage, welchen Beitrag Architekten für die Bewältigung unserer heutigen Probleme leisten können.Aus der Sicht von TAMAssociati muss Architektur sich in unserer Zeit mit neuen Konflikten auseinandersetzen, die dadurch entstehen, dass Ideologie und Religion oftmals unkritische Visionen befeuern. ‘Taking Care‘ im Kontext der Architektur bedeutet, auf ungezügeltes Wachstum und Ausbeutung zu reagieren, im Bewusstsein, dass es ihre Aufgabe ist, für Menschen durch die Gestaltung von Raum neue Bedeutungen und Möglichkeiten zu schaffen.
Video-Interview mit Massimo Lepore und Simone Sfriso
Das Video finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Sto-Stiftung