Lore Hauck | Eine Reise durch Japan (1/3)
Schon lange hege ich eine Begeisterung für japanische Architektur. Es ist eine andere Art, Raum zu denken und sich in Räumen zu bewegen, was schon beim Betreten eine Hauses mit dem strikten Schuhe ausziehen beginnt. Der Boden wird vergleichbar mit uns als Bett wahrgenommen, habe ich mir von einem Japaner erzählen lassen. Einzelne Raumfunktionen werden geschickt miteinander verknüpft und Bezüge zueinander, wie zwischen Innen und Außen spielen eine große Rolle.
Darüber hinaus bewundere ich den Feinsinn für schlichte Formen aus Japan. Ich möchte wissen, wie das Leben in Japan ist. Da ich das große Glück habe, dieses Stipendium erhalten zu haben, reise ich dorthin. Seit einem Monat bin ich nun unterwegs, ein Weiterer liegt noch vor mir. Die Reise beginnt in Tokio, der größten Metropolregion der Welt. Tokio erfüllt alle Erwartungen, aber auch noch Vieles mehr. Die dichten Zentren bilden sich um die Bahnhöfe der Stadt. Hier sind die Häuser riesig. Bunte Werbetafeln säumen die Fassaden und es blinkt, schallt und schrillt aus allen Winkeln. Über manche Straßenkreuzungen laufen hier über 2000 Menschen pro Ampelschaltung. Tokio übt sich unermüdlich in effizienter Raumnutzung und fasziniert dadurch, sich jeden qm der Stadt zu Nutze zu machen. So finden sich am Fuße der Wolkenkratzer nicht selten kleine Häuser, die eine Breite von 1,50m nicht überschreiten. Viele Bereiche des Lebens sind hier in den öffentlichen Raum verlagert. Es gibt Katzencafés, um den Wunsch eines eigenen Haustieres zumindest stundenweise nachzukommen und viele Onsen, die als öffentliche Waschhäuser genutzt werden. Nebeneinander, auf kleinen Hockern sitzend, wird hier eine ausführliche Körperpflege betrieben und zwischendrin in heißen Quellen gebadet.
Befindet man sich abseits der Viertel, kommt ein kleinstädtischer Charme auf. Hier scheint auf einmal alles eine Nummer kleiner, als wir es im Westen gewohnt sind. Kleine Häuser verschachteln und stapeln sich kunstvoll ineinander. Auf schmalen Straßen werden viele Blumentöpfe aufgestellt, um sich etwas Natur zurück in die Großstadt zu holen. Die Bausubstanz der Viertel ist meist recht jung und durchlebt eine ständige Erneuerung. So finden sich zwischendrin immer wieder Häuser, die meist sensibel in ihr Umfeld eingebettet, neue Architekturansätze erproben.
Aber auch eine Lektion lernen wir: In Japan ist nicht alles schön. Von Kitsch, viel Plastik bis zu feinstem Design ist alles zu finden. Mit dem Besuch konträrster Viertel, einer Reihe von Ausstellungen und dem Flanieren durch kleine Boutiquen für japanisches Design vertreiben wir uns die Zeit.
Um die Wurzeln des modernen Japans kennenzulernen und deren Neuinterpretation in den großen Städten besser zu verstehen, reisen wir aufs Land. Wir werden Teil des WWOOF Netzwerkes (World Wide Opportunity on Organic Farms) und verbringen einige Zeit als Woofer auf Organic Farms. Dort können wir hautnah die japanische Kultur erleben, sowie in den Familien mit leben und sie bei ihren täglichen Aufgaben unterstützen. Unsere erste Station führte uns an die Westküste der Hauptinsel nahe Fukui. Hier haben wir in Anlehnung an japanische Bautraditionen eine Bank und eine Fensterabdeckung für die Familie entworfen und mit den vorhandenen Mitteln umgesetzt. Die Kommunikation, gerade in den ländlichen Regionen, ist mit unseren spärlichen Japanischkenntnissen und deren meist spärlichem Englisch eine eigene Herausforderung. Wir verständigen uns mit Händen, Füßen und kleinen Zeichnungen. Wir erfahren einiges über die Menschen, das Land und seine Küche. Viele Fragen, die uns brennend interessieren würden, bleiben vorerst unbeantwortet. Es bleibt uns selbst überlassen, mögliche Antworten zu ergründen. Diese diskutieren wir eifrig in unseren philosophischen Ergüssen über das Leben hin und her.
Als nächstes machen wir einen Abstecher nach Kanazawa. Dort befindet sich das 21st Century Museum of Contemporary Art, eines der bedeutendsten Bauwerke von SANAA. Der Grundkörper besteht aus einem runden Glasbau. Kubusse verschiedener Größen ragen aus dem Gebäude heraus und bilden, wie eingesteckt, Innenräume, Gänge und Plätze aus. Viele Durchblicke und Sichtachsen machen das Gebäude aus und laden zum Durchwandeln ein. Außen und innen befinden sich feste Installationen namhafter Gestalter, wie Olafur Eliasson. Diese machen, im Zusammenspiel mit temporären und internationalen Ausstellungen, einen Besuch absolut empfehlenswert.
Auf einer zweiten Farm haben wir einen Bauern bei der Arbeit auf seiner Orangenfarm unterstützt. Trotz der meist schweren Arbeit hatten wir eine wunderbare Zeit und es blieb viel Raum, sich an das bisher Erfahrene zu erinnern und zu reflektieren. Wir haben viel von seiner und von der Geschichte Japans erfahren und wurden mit Gastfreundschaft überschüttet – von einem Mann, der selber nicht viel hat und in der ehemaligen Reiskammer wohnt, um seine zwei alten wertvollen Häuser zu schonen. Japaner lieben, leben und halten an ihren Traditionen fest. Gerade auf dem Land ist das zu spüren, was den Menschen etwas Ehrenhaftes verleiht.
Heute sind wir auf dem Weg in die Berge, um auf einem schon sehr alten Pilgerweg, dem Kumano Kodo, zu wandern und die Berge, von denen Japan so viele hat, zu sehen. Wir sind gespannt, was für Abenteuer Japan noch für uns bereithält.
Lore Hauck ist Preisträgerin des interior scholarship 2015. Mit dem Stipendium von AIT und Sto-Stiftung werden Innenarchitekturstudenten für ihre Ideen und kreative Denkweisen ausgezeichnet.
"Hauck entwickelte ein Volumen aus Enge, Weite, Licht und Schatten mit dramatischer Zuspitzung. Geschickt inszeniert sie die Verknüpfung verschiedener Sinneswahrnehmungen."