Kaum ein Unterschied zu anderen Epochen | Alejandro Aravena
Architekt Alejandro Aravena, Partner und Executive Director von Elemental in Santiago, Chile, verließ das konventionelle Vortragsformat und trat mit seinem Publikum in einen Dialog.
Form und Prozess
Als Einstieg in die Diskussion schilderte Aravena, wie Architekten zur “Form” finden. Er erklärte, dass für die Form eines Projekts ausschließlich die Nutzung, das Programm und der Charakter ausschlaggebend sind.
Anhand eines der Elemental-Projekte, des Innovation Centre in Santiago, Chile, legte Aravena die Philosophie der Schaffung von Räumen dar, die ihren Nutzern, dem Kontext und natürlich dem Wesen des Programms dienen. Kulturell erfüllt und umweltbewusst, ist das Innovation Centre ein in höchstem Maße nachhaltiges Gebäude. Aravena führte aus, dass “Nachhaltigkeit nichts anderes ist als die konsequente Anwendung des gesunden Menschenverstands”. Er ging sogar so weit, den Stempel der “Zeitgenössigkeit” in der Architektur infrage zu stellen, ebenso wie die landläufige Wahrnehmung von Glasgebäuden als die ultimative Form zeitgenössischen Designs. Für Aravena bemisst sich die Zeitgenössigkeit von Architektur über ihre Relevanz, nicht durch ästhetische Extravaganz. So fußt der Erfolg des Innovation Centre nicht auf einer künstlerischen Manifestation, sondern vielmehr auf seiner Anpassungsfähigkeit angesichts kontextueller Herausforderungen und der Notwendigkeit, die Ziele der Nutzer zu erfüllen.
Die rigorose Geometrie des Gebäudes, eine mächtige Anordnung von Betonkörpern, bildet im Wesentlichen einen zeitlosen Monolithen. Ein reiches Gebäude – sowohl konzeptionell als auch physisch: Hier verbirgt eine undurchlässige Fassade einen durchlässigen, von Tageslicht durchströmten Hof in ihrem Kern. Hier sind vertikale Bewegungen möglich, die den Benutzer in die Lage versetzen zu erfahren, was im Gebäude vor sich geht. Diese vertikale Reise fördert menschliche Interaktionen und gemeinsame Erfahrungen ebenso wie den Austausch von Wissen, der wiederum Innovationen ermöglicht.
Aravena unterstrich das Fehlen jeglicher privater, künstlerischer Aspekte im Design. Das Innovation Centre ist das Ergebnis einfachen Beobachtens bestimmter Umstände und deren Übertragung in Form. Sobald ein Gebäude dann schließlich in Betonform gefasst wird, wird es im Wesentlichen zeitlos.
Auf der Suche nach einer Komposition: Rückkehr zur Archaik
Aravena diskutierte außerdem das Muss, auf der Suche nach Originalität zum Archaischen zurückzukehren. “Knappheit ist ein kraftvoller Filter, der architektonische Beliebigkeit außen vor lässt”, argumentierte Aravena, “denn Ressourcenknappheit kann die Bedeutung definieren, Möglichkeiten einschränken und schnelle, effektive Lösungen hervorbringen.” Die Arbeiten von Elemental lehnen Protz und Prunk bewusst ab und wenden sich dem Einfachen zu.
Pragmatische Architektur: Quinta Monroy – Soziales Wohnbauprojekt von Elemental
Unweigerlich schwenkte die Diskussion zu einem der ersten sozialen Wohnbauprojekte von Elemental. Elemental wurde um ein Konzept für ein Wohnbauprojekt für 100 Familien in Iquique im Norden Chiles gebeten. Dieses Konzept musste sich im Standardförderrahmen der Regierung in Höhe von 7.500 Dollar pro Haus bewegen, einer Summe, die die Grundstücks-, die Infrastruktur- und die Baukosten decken musste. Da sich der Standort im Stadtzentrum befand, war der Boden um das Dreifache teurer als in den Vororten, wo Sozialwohnungen normalerweise errichtet werden. Während ein Großteil des Budgets bereits in den Grundstückskauf floss, löste Aravena die finanziellen Beschränkungen mit der Entwicklung einer instinktiven, rigorosen und von Grund auf menschlichen Gebäudetypologie. Seine Designantwort auf die Herausforderung sah die Schaffung des halben Wohnraums vor, der die wesentlichen Elemente, die Grundstruktur, die Küche und das Bad, umfasste, sowie Raum für eine spätere Erweiterung bot. Dank dieser neuen, der Knappheit der Mittel entsprungenen Typologie konnten einkommensschwache Bewohner ihre Wohnungen individuell gestalten und in ihre neuen Häuser investieren.
Aravena beharrt darauf, dass Architekten es sich nicht leisten können, sozialen Bedürfnissen weiter die kalte Schulter zu zeigen. Der Berufsstand muss die Sprache des Designs nutzen, um sich den Herausforderungen zu stellen, sowie in die soziale und wirtschaftliche Diskussion eintreten, um eine Architektur hervorzubringen, die dem Menschen dient.
Für Aravena kann das Verständnis der Gegebenheiten sozialer, klimatischer und wirtschaftlicher Belange und wie diese sich im Design widerspiegeln können, zur Schaffung innovativer Besiedelungsmuster führen – einer Architektur, die sich über das Mittelmaß erhebt.
Die Kraft der Synthese
Abschließend brachte Aravena die Bedeutung der Synthese in die Diskussion ein. Er argumentierte, dass “Synthese in der Architektur nichts weiter ist, als eine Reihe von Vorlieben”.
Das Wirken von Elemental bringt frischen Wind in den architektonischen Diskurs unserer Zeit. Es ist eher unüblich, Architektur zu begegnen, die mit Einschränkungen zu tun hat, Architektur, die sich nicht in Selbstverherrlichung ergeht. Laut Aravena ist “Design unter dem Strich das Ergebnis von Vorlieben” und diese Vorlieben sind es, die die Synthese der Architektur in ihrem Kern tragen. Für Aravena ist es sich die Architektur schuldig, rigoros und revolutionär daherzukommen; ja, sich in die menschliche Art einzumischen. Gegen Ende des Abends waren wir einhellig dieser Meinung: Architektur hat es verdient, relevant zu sein, und muss etwas dafür tun.
November Reihe 2015 an der University of East London: Sehen Sie das Interview mit Alejandro Aravena.