Interior Scholarship | Blogbeitrag 02-2018 | Naomi Rossignol
In den letzten zwei Monaten hat sich bei mir die gesamte Arbeit und Forschung rund um das Thema Landschaft gedreht. Ausgehend von allen sichtbaren Merkmalen eines Stück Lands und Bezug nehmend auf die Grenzen des Sichtfelds habe ich mir die Frage nach dem Sinn gestellt. Handelt es sich um einen Raum, im Drinnen oder im Draußen? Horizontal, vertikal, eine Landschaft in der Nähe oder weit entfernt? Ist es eine natürliche oder künstliche? Steht sie in Bezug zu Zeit und Bewegung oder ist sie eher statisch? Wie nimmt man sie wahr? Welche Beziehung hat man zu ihr?
Die Unsichtbare Landschaft, Hillegom, Süd-Holland
Ich begann meine Forschung auf den Blumenfeldern von Hillegom, einer der typischsten, flachen holländischen Landschaften. Tulpenpflanzungen umgeben von Wasserkanälen.
Mein erster Eindruck war, dass der Ort sehr still war. Überdies konnte ich eine echte Konfrontation zwischen dem von Menschenhand gestalteten Land und der natürlichen Fauna und Flora wahrnehmen, die sich behaupten musste. Ich fragte mich, wie die Landwirte ihre Felder bestellten und welchen Einfluss die Umgebung hatte? Um mich tiefer damit auseinander zu setzen, beschloss ich, mich speziell auf die Menschen, die Tulpen und die Schnecken zu konzentrieren. Somit habe ich in der Folge eine Menge Informationen vor Ort online gesammelt und damit begonnen, diese drei zu vergleichen und grafisch darzustellen.
Was ist z.B. ihre Lebensdauer, ihre Größe in Zentimetern, wenn sie ausgewachsen sind, ihre Wachstumsrate in Zentimetern pro Tag, ihre Bewegungsgeschwindigkeit in Kilometern pro Stunde? Ich hatte den Eindruck, dass es sich dabei um unsichtbare Schichten handelte, die die Landschaft formen.
Forschung in der Literatur, wie z.B. “Landschaft und Erinnerungen” von Simon Schama und andere Literatur halfen mir, in meinem Projekt voranzukommen. Ein Gedanke aus Der kleine Prinz von St-Exupery hat meine Aufmerksamkeit geweckt, weil er den Begriff „Charakter“ für eine Landschaft verwendet: Wenn man den Erwachsenen sagen würde: «Ich habe ein wunderschönes Haus aus rosaroten Backsteinen gesehen, mit Geranien in den Fenstern und Tauben auf dem Dach», sie würden sich das Haus überhaupt nicht vorstellen können. Du müsstest zu ihnen sagen: «Ich habe ein Haus gesehen, das $20 000 kostet.» Dann würden sie ausrufen: «Oh, was ist das für ein schönes Haus! »
Das gab mir einen anderen Blickwinkel, um auf das Feld von Hillegom zu schauen. Von einer produktionsbezogenen Sichtweise kam ich zur der Persönlichkeit und der emotionalen Seite der Landschaft und meine Forschung endete damit, dass ich einen Film davon drehte.
Die Immersive Landschaft, Frankfurt, Deutschland
“Eine Landschaft als Bild aufzunehmen, kann sehr oberflächlich sein, solange man sie nicht physisch erfährt.”
Anfang Januar hatten Nina, Bastian und ich die Gelegenheit, für die Heimtextil-Messe in Frankfurt eine 1:1-Installation zu entwerfen und zu bauen, die aus einem hölzernen Rahmen und Stoff bestand. Wir wollten die Besucher mit einem Raum konfrontieren, in welchem der Stoff nicht als dekoratives Element verwendet wird, sondern für den Boden, die Wände und die Decke und der so keine definierte Oberfläche aufweisen und zu einem Verlust der räumlichen Orientierung führen würde.
Während des Herstellungsprozesses war es spannend, auf direkte Tuchfühlung mit dem Stoff zu gehen, ihn zu handhaben und sein Gewicht zu spüren. Zum allerersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich mit dem Stoff wie mit einem echten Körper arbeitete. In der Umgebung der Messe fühlte sich die Installation sehr unabhängig und eigenständig an und verkörperte ihre eigene Geschichte. Von innen war sie eine Welt für sich. Ein immersiver Raum, der schnell zu einem Raum zum Erzählen wurde, in dem Intimität inmitten der lauten Aktivitäten der Messe einen Platz finden konnte.
Die Inquisitive Landschaft
Im letzten Teil meiner Forschungsarbeit habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie das Handwerk als Werkzeug dienen kann, um emotionale Landschaften einzufangen. Es ging mir darum, Wege zu finden, wie man Gefühle und veränderte Wahrnehmungen übersetzen kann.
Die Untersuchung begann mit einer kurzen Passage von “Fuir vers le réel”, einer Sammlung von Reiseberichten, die vom Künstler Emmanuel Fillot stammten. Dort fand dich eine erzählerische Beschreibung einer Landschaft aus Meeresschaum und eines Pfads durch die Klippen.
Für mich ist eine Atmosphäre eine Frage der Erfahrung. Also begann ich intuitiv mit einer 3D-Übersetzung davon; einem Gewebe aus verschiedenen Materialien wie grobe Wolle und eingefärbten Baumwollfäden. Während ich diese zusammenfügte, machte ich Scans, wenn ich fand, dass etwas Interessantes – Veränderungen der Farbe, der Form und der Textur - mit dem Gewebe passierte. Es fühlte sich an, als ob man Fragmente der Geschichte erfasste und die Atmosphäre einfror. Später verwendete ich die Riso-Druckmaschine, um mit dem Experimentieren in 2D weiterzufahren, bevor ich wieder mit 3D-Gipsabgüssen weitermachte.
Die Medien und Dimensionen während eines Forschungsprozesses zu wechseln, das ist für mich ein Weg, um eine andere Herangehensweise an die Dinge zu wählen, die ich tue, um Dinge auf andere Weise wahrzunehmen und mir so zu helfen, auf eine bessere Art darüber zu reflektieren.
Bei dieser nicht enden wollenden Forschung über inquisitive Landschaften habe ich eine wirkliche Leidenschaft dafür entwickelt, handwerklich zu arbeiten. Motiviert, mehr darüber zu lernen und stark inspiriert von der bildenden Künstlerin und Designerin Claudy Jongstra, was das Experimentieren mit dem Handwerk und Rohmaterialien angeht, habe ich beschlossen, mit ihrem Studio in Friesland im Norden von Holland wegen eines Praktikums Kontakt aufzunehmen und ich habe einen positiven Bescheid erhalten. Ich freue mich schon darauf, dort ab April 2018 für drei Monate zu arbeiten.
Über Naomi Rossignol
Die in Hong Kong geborene Französin studiert seit 2014 an der Royal Academy of Art in Den Haag, Niederlande, Innenarchitektur und Möbeldesign. Nach ihrem Abitur lebte und lernte die Stipendiatin im Rahmen des „Rotary-International-Youth-Programs“ ein Jahr in Thailand. Zu Beginn ihres Studiums besuchte sie einen einjährigen Kunst-Vorbereitungskurs in Paris. Ihr Interesse für Reisen, Kunst, Tanzen, Meditation und Tai Chi zieht sich in verschiedenen Kombinationen durch ihr bisheriges Leben: Als Hostess in der Martel Greiner Gallery in Paris, bei einem zweimonatigen Tanztrainig in Australien oder der Teilnahme an einem Workshop im Rahmen der Biennale Interieur sowie an Wettbewerben wie dem Solar Decathlon Europe konnte sie prägende Erfahrungen in verschiedenen Bereichen sammeln. Zusätzlich ist Naomi Rossignol sehr sprachinteressiert und spricht fünf Sprachen auf unterschiedlichen Niveaus.