Interior Scholarship | Blog 01/2018 | Nina Kaul
Es ist Ende März, ich sitze im Flugzeug von Ahmedabad über Dubai nach Hamburg. Im Frachtraum befinden sich 29 kg Heimat, unglaubliche Eindrücke, Erinnerungen, ein Moskitonetz, eine Prise Zimt und einige Fundstücke, die mich die letzten fünf Monate begleitet oder gefunden haben. Meine Indienreise ist hiermit zu Ende. Die Zeit scheint in Indien schneller zu vergehen, besonders, wenn man Vollzeit arbeitet und in jeder freien Sekunde verreist. Ich bin sehr dankbar, dass mein Praktikum mir dazu die Möglichkeit gegeben hat.
Meine erste Reise führte mich nach Kerala in Südindien. Die Reise startete in Kovalam, es ging nach Varkalla, wo ich mein erstes Weihnachten fern von zuhause verbracht habe. Nach einigen Stationen reiste ich Ende Januar über Kota, von hier stammt der in Indien häufig verwendete Kotta-Stein, nach Bundi in Rajasthan. Eine Stadt, deren Architektur von einem blauen Pigment durchzogen ist. Am Hang eines Hügels befindet sich Garh Palace mit zahlreichen Freskenmalereien des 17. bis 19. Jahrhunderts, mit Themen aus der Mythologie sowie der Geschichte der Stadt und des Lebens am Hofe. Einige Bilder sind interessante Darstellungen der Architektur in Grundriss und Ansicht zugleich.
Im Februar besuchte ich Chandigarh, eine Planstadt, die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts nach den Plänen von Le Corbusier errichtet wurde. Die Stadt unterscheidet sich stark von dem Rest Indiens, den ich bis dato kennen gelernt habe. Sie ist streng in Sektoren aufgeteilt, sauber und in dem geordneten Verkehr begegneten mir kaum Menschen. Ich besichtigte den Kapitol Komplex mit dem Justizpalast und der „offenen Hand“-Skulptur sowie die Art Gallery. Corbusier beschäftigt sich in seiner Architektur mit den dortigen Klimabedingungen. Den "Tower of Shadow" lässt er als eine Art Studie der Sonne errichten. Er schirmt die Sonne von allen Seiten und Tageszeiten ab, lässt aber dennoch genug Licht und Wärme ins Gebäude dringen, um eine offene Architektur in einem warmen Land generieren zu können. Diese ganze Stadt scheint sehr unwirklich, fast unheimlich, eher wie eine Zeitreise in die fünfziger Jahre.
Nächstes Reiseziel auf meiner Reiseliste war Indiens Hauptstart Delhi und anschließend das Taj Mahal in Agra.
Zu guter Letzt ging es für mich an einen ganz besonderen Ort namens Varanasi, eine der ältesten Städte Indiens und die heiligste Stadt des Hinduismus. Nach Moscheen, Tempeln, Stepwells und indischen Privathäusern, die ich besichtigen durfte, gab es ein ganz besonderes architektonisches Highlight direkt in Ahmedabad: Balkrishna Doshi gewinnt als erster Inder den Pritzker Preis für sein Lebenswerk. Der 90-jährige Architekt hat eng mit Le Corbusier und Louis Kahn zusammengearbeitet und ist für seinen sozialen Wohnungsbau bekannt.
Die Arbeit im 11. Stock von Mondeal Square bei Blocher Partners ist nach einigen Wochen zum Alltag geworden. Hier werden Malls, Privatresidenzen, Bürogebäude und Resorts im großen Stil geplant. Das alles passiert in enger Zusammenarbeit mit dem Partnerbüro in Stuttgart. Ich durfte bei einem Playschool-Projekt das Interior-Konzept ausarbeiten, einen Empfangstresen für das Goethe Institut in Kolkata entwerfen, einen Retail Store auf kleinstem Raum planen, Möbel, Material und Farbe für Privathäuser auswählen und Präsentationen für Kunden erstellen und präsentieren. Da moderne Wörter oder Fachtermini in Indien meist nur auf Englisch existieren, konnte ich auch Diskussionen oder Verhandlungen auf Hindi einigermaßen ihre Kernaussage abgewinnen. Größtenteils wurde im Büro aber sowieso Englisch gesprochen.
Der Abschied von meinen Kollegen, die zu engen Freunden geworden sind, und all den Menschen, die mich durch meinen wilden Alltag begleitet haben, fällt mir sehr schwer. Die Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft, die mir dort begegnet ist, hat mich rund um die Uhr umsorgt. Ich habe mich kein einziges Mal alleine oder unwohl als allein reisende Frau in Indien gefühlt. Ich habe noch nicht alles von Indien erkundet, die Menschen und den täglichen Wahnsinn auf den Straßen zu sehr ins Herz geschlossen - ich werde definitiv wiederkommen. Vielleicht, zum reisen, vielleicht, um zu arbeiten oder um ein Thema für meine Master Thesis zu finden.
Zurück in Deutschland, geht es gleich mit dem neuen Semester meines Masterstudiums an der Burg Giebichenstein los. Zum Auftakt und Warm-up erarbeiten wir Variationen von Wandgestaltung, die ich mithilfe von Wandabwicklungen und Collagen visualisiere. Ziel des Semesters wird es sein, ein Hotelzimmer im Airport Hotel bei Leipzig zu entwerfen.
Über Nina Kaul
Nina Kaul wurde in Braunschweig geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Während ihrer Schulzeit wurde ihr künstlerischer Blickwinkel durch die Teilnahme an der Talentförderung Kunst für Schüler geschärft. Nach ihrem Abitur 2011 begann sie ihr Studium der Innenarchitektur an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein/Halle (Saale). Durch ihr Studium und verschiedene Praktika vor und während ihres Studiums in einer Tischlerei, einem Innenarchitekturbüro, bei Volkswagen Immobilien Marketing, einem Künstler und als Szenenbild-Assistenz konnte Nina ihre Fähig- und Fertigkeiten in zahlreichen unterschiedlichen Bereichen weiter ausbauen. 2016 entwarf sie zur Premium Fashion Week Berlin einen Messestand und setzte diesen um. 2017 folgte ein Logo-Entwurf für ein kleines Hamburger Unternehmen.