Nachbericht Sundhausen: Blickfang in Pink
An guten Ideen mangelt es im ländlichen Raum nicht. Vielmehr fehlen Strukturen, finanzielle Möglichkeiten oder schlichtweg Manpower. Mit dem Einsatz von Architektur und Handwerk soll sich das ändern. In der Thüringer Dorfregion Seltenrain engagieren sich seit Jahren die Stiftung Landleben und der Verein Landengel e.V. mit der Planung und Umsetzung eines neuen Gesundheits-, Pflege- und Versorgungsnetzwerks. Ziel ist es, im Zug des demografischen Wandels nicht nur Gesundheitsdienstleistungen im Unstrut-Hainich-Kreis anzubieten, sondern auch soziale Isolation zu vermeiden und die Pflege, Altenhilfe und das Wohlfahrtswesen in ländlichen Regionen zu ermöglichen.
Hierzu finden im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen seit dem Frühjahr 2021 wiederkehrende Bauhütten statt. Bei diesen Hands-on-Workshops mit begleitendem Fach- und Kulturprogramm gestalten und realisieren sowohl Studierende der Architektur als auch Handwerkerinnen und Handwerker des Ausbaugewerbes – sprich Maler und Stuckateure – die örtliche Infrastruktur. Dabei steht ihnen internationales Renommee zur Seite: Beteiligt sind neben der TU Berlin, die Veldacademie Rotterdam mit der TU Delft, die TU Wien, die PUC Santiago de Chile, die Bauhaus-Universität Weimar, die IBA Thüringen sowie die gemeinnützige Sto-Stiftung.
Bei dem Projekt wird unter anderem ein leerstehender Konsum aus DDR-Zeiten in Sundhausen Stück für Stück zu einem neuen Dorfmittel- und Treffpunkt umgebaut. Das neue Landzentrum soll neben einer Bürgermeisterei und Kümmerei zum Beispiel auch einer Mietarztpraxis Platz bieten. Für diese planten die Workshop-Teilnehmer in diesem Sommer einen eigenen Zugang dort, wo sich einst die Laderampe der Filiale befand. In DesignBuild-Manier überführten sie ihre Ideen anschließend in die Realität. Gleich gegenüber gingen sie ein weiteres Problem an: „Wir haben zuletzt immer wieder gemerkt, wie sehr die Menschen bei Feiern auf dem Anger eine Sitzmöglichkeit vermissen“, rekapituliert Prof. Ralf Pasel, TU Berlin, Stiftungsrat Architektur der Sto-Stiftung und Kopf des Projekts, das Feedback der Anwohner. Die Lösung: Eine multifunktionale Fassadenverkleidung auf der dem Anger zugewandten Seite des ehemaligen Konsums bietet jetzt Sitzgelegenheiten mit bester Sicht auf die neue – größtenteils pinke – Bühne.
Pinkes Holz aus Rotterdam
Das Pink an Fassade und Mobiliar ist jedoch kein Zufall, sondern dem Ursprung des Baumaterials geschuldet. „Um der allgemeinen Ressourcenknappheit zu begegnen, setzte die Sommer-Akademie SNDHSN im Sinne des zirkulären Bauens auf die Wiederverwendung, Transformation, und Umnutzung von Rohstoffen, die bereits im Stoff-Kreislauf vorhanden sind“, erklärt Pasel. So steuerte beispielsweise das Het Nieuwe Instituut aus Rotterdam das Holz bei. Es war zuvor Teil des Kunstprojekts „Rooftop Walk“. Dort bildete es ein begehbares Dach, dessen Aussicht im Sommer vielen Veranstaltungen eine faszinierende Kulisse bot. 650 Quadratmeter Holz stammen allein von der Plattform des Podiums. Hinzu kam Material aus Treppen und Geländern. Neue Vorhänge und Gardienen für das Landzentrum entstanden hingegen aus Textil-Spenden der Region. Für die Zukunft ist bereits auch schon vorgesorgt: „Es ist immer noch genug Material für weitere Bauhütten da“, meint Pasel. Als nächstes Projekt soll ein Vordach mit integrierter Bushaltestelle für das Landzentrum entstehen.
Wenn Kopf und Hand zusammenarbeiten
Dem Gedanken eines Bau-Laboratoriums folgend, rückte auch die mittlerweile fünfte Bauhütte in Sundhausen die Verbindung von Gestaltung und Konstruktion in den Fokus. „Der experimentelle Charakter des Vorhabens dient der Entwicklung von prototypischen (Ein-) Bauten einerseits und stärkt andererseits die Kollaboration von Handwerk und Architektur“, führt Pasel aus. Als Format für Austausch und Diskurs fördert die Bauhütte interdisziplinäres und gewerkübergreifend Arbeiten. Sie ist damit ein Musterbeispiel für das Leitprinzip „Kopf und Hand“ der Sto-Stiftung. „Junge Handwerkerinnen und Handwerker, die vorzugsweise mit den Händen arbeiten, mit jungen Studierenden der Architektur, die die Arbeit mit dem Kopf präferieren, zusammenzubringen, ist das Ziel dieses Ansatzes“, erklärt Till Stahlbusch, Vorsitzender des Stiftungsvorstands der Sto-Stiftung. Durch die Einblicke in Planung und die Einbindung im realen Bau profitierten beide Gruppen. Diese Erfahrung teilt auch Workshopteilnehmer Jonas Felder:
„Bei diesem Projekt haben wir schnell gemerkt, dass Architekten und Handwerker nicht gegeneinander, sondern stets miteinander arbeiten sollten“, bestätigt der Architekturstudent der Bauhaus Universität Weimar. „Wenn wir alle unsere unterschiedlichen Fähigkeiten und Stärken einbringen und gut kommunizieren, lassen sich die meisten Probleme leicht bewältigen.“
Das hochaufgelöste Bildmaterial finden Sie hier zum Download