Arturo Vittori | Architecture and Vision | Bomarzo
Arturo Vittori beschloss die Novemberreihe an der University of East London mit seiner Präsentation, die er mit ‘Water from the Air’ betitelt hatte.
Vittori studierte Architektur an der Universität von Florenz und machte in Modena seinen Master. Er arbeitete zeitweise in Deutschland und bis 2006 bei Future Systems in London. 2003 gründete Vittori zusammen mit dem Schweizer Architekten Andreas Vogler in Bomarzo/Italien das Studio ‘Architecture and Vision‘. Das internationale Studio befasst sich mit der Entwicklung von innovativen Architektur-, Design- und Technologielösungen unter anderem für die Raumfahrtindustrie. Vittori veranstaltet an Universitäten weltweit Design- und Konzeptworkshops für Studenten. Das Studio ‘Architecture and Vision‘, über das zahlreiche Berichte in der Fachpresse erschienen sind, wurde mit seinem Projekt ‘Warka Water‘ zur 15. Architektur Biennale Venedig eingeladen.
An den Anfang seiner Präsentation stellte Vittori das Thema Weltraumforschung, visualisiert durch ein Bild der Internationalen Raumstation im Orbit; ein Traum, der wahr geworden ist und eine Leistung, die bereits Teil unserer Geschichte ist.
Vittori sprach über das Designen für eine schwerelose Umgebung, für die jedes Objekt, bis hin zum Trinkglas, neu erfunden werden muss. Er beschrieb die lebenserhaltende Bedeutung von Architektur auf dem Mond, und wie ein langer Aufenthalt dort nur durch das Wiederaufbereiten der geringen mitgebrachten Mengen von Atemluft und Wasser möglich ist. Er forderte die Zuhörer auf, sich vorzustellen, sie seien Passagiere auf unserem Planeten, auf dem eben diese Ressourcen frei verfügbar sind, und sie befänden sich auf der Reise durch das Universum.
Vittori wandte sich dann seinem Projekt ‘Warka Water’ von 2012 zu. Die Idee dazu kam ihm bei seinen Reisen durch das ländliche Äthiopien, wo er Menschen begegnete, die im Einklang mit ihrer Umwelt leben. Vittori zitierte die Statistiken, die ihn dazu veranlasst haben, das ‘Warka Water’ Projekt auf eigene Faust und in seiner Freizeit in Angriff zu nehmen. Ausgehend von der Tatsache, dass 60% der Todesfälle bei Kindern auf das Fehlen von sauberem Trinkwasser zurückzuführen sind, verwies Vittori auf die Diskrepanz zwischen dem täglichen Mindestbedarf eines Menschen von 20 Liter Wasser und dem täglichen Maximalverbrauch in den Emiraten – wegen der Klimaanlagen die Region mit dem höchsten Wasserverbrauch weltweit. Diese Fakten untermauerte er mit einer globalen Statistik, die besagt, dass alle 90 Sekunden ein Kind wegen fehlendem Trinkwasser stirbt.
Vittori sprach dann über die Inspirationen für sein Projekt, darunter Biomimikry, lokale Traditionen und den Warka-Baum, der in bestimmten Regionen Äthiopiens die Basis für eine Dorfgemeinschaft bildet, indem er dieser im Austausch gegen Pflege und Nährstoffversorgung Schutz bietet und sie mit Nahrung und Sauerstoff versorgt. Zum Thema Biomimikry erwähnte Vittori den Namib-Käfer, der in trockenen Lebensräumen überlebt, indem er mit Hilfe winziger Noppen an seinem Körper dem Tau und der Luft Wasser entzieht. Als weiteres Beispiel nannte Vittori Kakteen, die mit Hilfe ihrer Stacheln in der Atmosphäre enthaltenes Wasser auffangen und so bei Trockenheit überleben. Und er verwies auf Tauteiche, in denen britische Landwirte in unzugänglichen Regionen das Regenwasser für die Versorgung ihrer Tiere sammeln.
Vittori erläuterte dann sein selbst gestecktes Ziel, ein System zum Sammeln von Wasser für Menschen in Dürregebieten zu entwickeln. Für seine Lösung zum Sammeln von Wasser definierte er die folgenden Vorgaben: sie muss einfach sein; muss möglichst geringe Umweltauswirkungen haben; muss vor Ort herzustellen sein; muss die Dorfgemeinschaft mindestens mit 50 Liter Wasser am Tag versorgen, und darf nicht mehr als $1000 kosten. Er bezeichnete ‘Warka Water’ als eine Designphilosophie, die sich auf unterschiedliche Umgebungen übertragen lässt, und als Architektur, weil es im Unterschied zu einer bloßen Wasserversorgung der Dorfgemeinschaft sowohl als Treffpunkt und als auch als Ressource dient. Die Einzelheiten des Konzepts erläuterte Vittori anhand des Prototyps 3 von ‘Warka Water’.
Prototyp 3 ist ein passives Design bestehend aus fünf Einzelmodulen aus Bambus und Geflecht, die von zehn Arbeitern in weniger als einer Stunde übereinander getürmt werden können. Das Prototyping und die Entwicklung des Modells führte Vittori in der Nähe seines Studios in Bomarzo durch. Das Geld dafür beschaffte er sich mit Hilfe eines Open-Source-Finanzierungsmodells. Er erläuterte einige Verbesserungsmöglichkeiten des Prototyps, darunter neue super-hydrophobe Materialien, die der Atmosphäre Wasser entziehen. Solche Materialien werden derzeit entwickelt.
Vittori erzählte dann von seinen Erfahrungen in Dorze, im Südosten Äthiopiens, wo er zusammen mit der Dorfgemeinschaft den Prototype 3 gebaut hat. Er ging zunächst auf die Besonderheit der Häuser in Dorze ein. Obwohl sie komplett aus Bambus bestehen und weder ein Fundament noch eine Innenstruktur besitzen, halten die Häuser bis zu 80 Jahre. Der Grund sind die Bananenstauden, die von der Dorfgemeinschaft als Windschutz rund um die Häuser gepflanzt werden. Als weiteres interessantes Detail erwähnte Vittori, dass die Dorfgemeinschaft nichts gegen die Termiten unternimmt, die sich vom Bambus ernähren. Man lässt es lieber zu, dass die Häuser im Laufe der Zeit schrumpfen, als dass man sie am Ende ihrer Lebensspanne verrotten lässt.
Vittori zeigte Videoaufnahmen, auf denen Mitglieder der Dorfgemeinschaft den Bambus spalten und daraus mit Hilfe von Hanfschnüren und Drähten die einzelnen Module flechten. Dann sah man, wie etwa 15 Mitglieder der Dorfgemeinschaft in weniger als einer halben Stunde die Module übereinander türmen. Zum Schluss sah man, wie die Dorfgemeinschaft sich zu einem Fest um den Turm versammelt hat und unter einem Baldachin isst, trinkt und tanzt.
Vittori erzählte dann noch von seinen regelmäßigen Besuchen bei dem Projekt und den Verbesserungen, die man zwischenzeitlich vorgenommen hat. Dazu gehören ein Zaun um den Turm, der die Schafe darin hindert, die Seile zu fressen. Und der Bau von ökologischen Solarpaneelen für die USB-Aufladung.
Für die Zukunft plant Vittori ähnliche ‘Warka Water’ Projekte in Haiti, Madagaskar, Indien, Indonesien und Nepal. Am Ende seiner Ausführungen forderte Vittori die Anwesenden auf, sich nicht mehr als Passagiere dieses Planeten zu verstehen, sondern als Crewmitglieder, die ihre Gestaltungskraft dafür einsetzen, das Leid in unserer Welt zu lindern.
Video-Interview mit Arturo Vittori
Das Video finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Sto-Stiftung