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Architektur ohne Verfasser | Christoph Gantenbein

November Talks 2015 an der Technischen Universität Graz

Zeitlose Architektur führt ein Erbe fort, schmiegt sich in den Kontext und verwirklicht abstrakte Typologien. Das macht sie anonym, sodass der Autor, der Architekt, die Person, die sie geschaffen hat, auf der Strecke bleibt. Und das ist gut so. Sagt Christoph Gantenbein, der die dritten November Talks in der Aula der Grazer Alten Technik präsentierte.

Nachhaltig ist ein Gebäude im modernen Ökologie-Kontext dann, wenn es biologisch abbaubar ist und am Ende seines Lebens möglichst rückstandslos verschwindet. Christoph Gantenbein, 1971 in St. Gallen in der Schweiz geboren, führt den Begriff der Nachhaltigkeit ganz anders und mit einem Augenzwinkern ein: „Für einen Entwerfer bedeutet Nachhaltigkeit eine Architektur, die überdauert. Und dabei immer verständlich bleibt.“ Den Gedanken illustrierte er mit seinem Partner Emmanuel Christ 1998 im Bildband „Pictures from Italy“, das fotografische Eindrücke von ihrem „professionellen Honeymoon“ den eigenen Projekten gegenüberstellt. „Nachhaltigkeit der Form heißt, sich mit dem Erbe auseinanderzusetzen“, formulierte Gantenbein die erste These des Abends.

Der Kontext als Bereicherung

Die zweite, „Nachhaltige Architektur ist in den Kontext integriert“, zeigte er anhand des Wohnbauprojekts „Voltamitte“ in Basel. Seine Form erinnert an einen Gewerbebau, der bereits vorher bestand und als Wohnhaus adaptiert wurde. Die Kamine, die metallenen Aufgänge, es ist alles „noch da“. „Uns hat das Minderwertige interessiert, das Vergessene“, sagt Gantenbein. „So schafft man Glaubwürdigkeit.“ Eine andere, radikale Antwort auf die Frage des Kontexts gibt der Zubau zum Landesmuseum Zürich, seinerseits eine eklektische Architektur-Collage aus verschiedenen Jahrhunderten und Stilen. Christ & Gantenbein schlossen die bestehende U-Form mit einer Brücke aus glatten Betonblöcken, die, geknickt und raffiniert verwinkelt, in der Seitenansicht die historische Dächerlandschaft komplettieren – sich wie ein Schatten des bestehenden Museums in die Silhouette einschmiegen. Im Inneren ist man sich nicht sicher, ob der Steinplattenboden alt oder neu ist, und die klassische, alt wirkende Beton-Holzdecke verbirgt modernste Technik – von der akustischen Optimierung bis zur energetischen Sanierung. Die totale Antithese, das Normale, das Übersehbare, das Unspezielle, haben Christ & Gantenbein mit den WohnWerk Workshops in Basel realisiert, einem Wohnhaus für Menschen mit Behinderung. Wenn man genauer hinsieht, findet man jedoch Details, die dieses Gebäude einzigartig machen: Die übergroßen Fenster sind absichtlich unpräzise gesetzt, was den Anschein historischer Entwicklung und Manipulation erzeugt – wie beim Dogenpalast in Venedig.

Die Typologie als Blaupause

Die Logik der Form ergibt sich mitunter durch simple Notwendigkeit. Der Wohn- und Büroturm in Pratteln, Schweiz, steht direkt an einer Eisenbahnlinie. Alle Wohnungen müssen aus Lärmgründen nach hinten zeigen, während die dem Zug zugewandte Seite verschlossen bleibt. Das Ergebnis ist eine markante Rhombusform mit fächerförmig angeordneten Einheiten. Ähnlich gestalteten Christ & Gantenbein das Kundenzentrum für den Hightechbetrieb List in Arisdorf, in dem auch ein Forschungslabor untergebracht ist. Der Bau aus Aluminium und Beton imitiert die ikonischen Zackendächer einer Fabrik und verbindet im Inneren die Anforderungen an Büro und Forschung. Auch diese Form musste neu geschaffen werden, eine Typologie dafür gab es noch nicht. „Nachhaltige Form ist immer typologisch“, beschreibt Gantenbein seine dritte These. In zwei weiteren Büchern studierten sie die Architekturtypologien von Hong Kong, Rom, New York, Buenos Aires, Paris, Delhi, São Paulo und Athen. „Die Grundstrukturen bilden die Typologie, die Logik hinter der Form. Der Autor wird dabei immer unwichtiger“, betonte Gantenbein. Die Wirkung klarer Formen kommt auch im Bürogebäude für das Pharmaunternehmen Roche gut zur Geltung. Mit jedem Stock nimmt die Stärke der weißen Betonbänder zu, filigrane Stützen tragen die Konstruktion, eine überdimensionale Terrasse schafft ein Alleinstellungsmerkmal. Als „Extra“ wirkt der schrill-bunte Boden, der nicht zur Typologie gehört.

Der unsichtbare Architekt

Ein Pavillon in Papp-Camouflage, der sich wie ein tarnfarbenes Beutetier im Dschungel eines Gartens in Basel versteckt, zeigt auf radikale Weise, wie anonym Architektur sein kann. Präzise geschnittene Paneele schneiden vertikale Fenster aus dem flachen Kubus. Wenn die Fenster geschlossen sind, genießt sein Bewohner absolute Privatsphäre. Das Interieur ist überraschend geräumig und wirkt glanzvoll-bürgerlich. „Die nachhaltige Form ist immer anonym“, lauten die Gantenbein’sche These Numero vier. Die Formen sind so allgemein und klar, dass schon einmal von einem Kunden die Aussage kam: „Das ist so einfach. Was haben Sie ein halbes Jahr lang eigentlich gemacht?“ Möglicherweise Typenstudien, um das „Repertoire“ der Architektur zu erweitern. Und „um den Kopf zu füllen“. Und um Architektur zu schaffen, die den Autor nicht mehr braucht.

Christoph Gantenbein wurde 1971 in St. Gallen, Schweiz, geboren und studierte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Architektur. 1998 gründete er das Büro Christ & Gantenbein mit Emmanuel Christ. Gemeinsam mit Studierenden unternahmen sie mehrere Studienreisen, um die urbane Architektur der Welt einzufangen. Er unterrichtet unter anderem an der Harvard Graduate School of Design, an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, an der Academia di Architettura Mendrisio und an der Oslo School of Architecture and Design.

Sehen Sie sich das Interview an (Video | 4:08 Min.).

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