ARCH+ Praktikum | Frederick Coulomb | Blog 01/2019
Im September des vergangenen Jahres nahm ich an der Tagung „Altstadt 2.0 – Städte brauchen Schönheit und Seele“ in meiner alten Heimatstadt Frankfurt teil. Ausgerichtet wurde diese von Pro Altstadt e. V., dem auch bekannte lokale Rechtspopulisten wie Wolfgang Hübner zugehörig sind. Ich hatte die Debatte in den Monaten zuvor aufmerksam verfolgt: Als interessierter und auch über die weitreichende Euphorie für das Rekonstruktionsprojekt verwunderter Frankfurter sowie vor dem Hintergrund, dass ich bald ein Stipendium bei der ARCH+ beginnen und dort an einem Heft zu „rechten Räumen“ mitarbeiten sollte.
Mir schwante also, dass dies ein nicht unbedingt angenehmer Besuch werden könnte. Und dennoch war ich überrascht, wie ungeniert dort rechte Positionen vertreten werden konnten und wie viel Zuspruch diese auch von jenen bekamen, die sonst nicht müde werden zu beteuern, es ginge ihnen lediglich um schöne Städte. So sprach der neurechte Autor Claus Wolfschlag beispielsweise von der Altstadt als „Erinnerung an den verdrängten Teil der eigenen Seele“, der mit der erinnerungspolitischen Kultur nach 1945 verschüttet gegangen sei, und von einer Rekonstruktionsbewegung als „Gegenkonzept zur Entortung der Globalisierung“ – eine bekannte Diktion der „Neuen Rechten“, die immerzu danach trachtet, das an den Boden gebundene, Einfache, Heimische, letztlich Völkische gegen das Globale zu positionieren.
Erschrocken war ich auch darüber, wie sehr die aktuelle Rekonstruktionsdebatte und die von Personen wie Wolfschlag bemühten rhetorischen Figuren der Rekonstruktionsdebatte aus den 1990er-Jahren glich, wie sie beispielsweise in der ARCH+ 122 von 1994 diskutiert wurde. Woher stammt also dieses – offensichtlich immer wiederkehrende – antimoderne Bedürfnis nach Tradition und Einfachheit in der Architektur? Woher „die Sehnsucht […] nach dem, was noch nie war?“ (Adorno), nach einer Mythologisierung der gebauten Umwelt? Woher rührt das fortlaufende Bedürfnis, die Komplexität der Moderne durch vermeintlich altbewährtes zu reduzieren? Und, banal und doch nicht weniger schwerwiegend: Wie ist es möglich, dass Akteure der „Neuen Rechten“ so prominent das Medium der Architektur für sich nutzen können?
Diese und weitere Fragen haben mich seither ungemein umgetrieben und motiviert, an der Ausgabe zu „rechten Räumen“ zu arbeiten. Hierfür durfte ich bisweilen Hintergrundrecherche betreiben, bereits eingereichte Texte redigieren und Kontakt mit Autor*innen halten. Ich denke, dass ich trotz – oder gerade wegen – der Tatsache, dass ich kein Architekturstudium absolviert habe, etwas zu diesem Themenkomplex beitragen kann: Die Auseinandersetzung mit etwaigen Fragen ist mir aus meinem Studium der Soziologie und der Humangeographie an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität nicht unbekannt und insbesondere letztere hat mir vermitteln können, wie wichtig räumliche und urbane Kategorien und Strukturen dafür sind, gesellschaftliche Prozesse umfassend verstehen zu können.
Neben der Arbeit an der Ausgabe zu „rechten Räumen“ bin ich mit weiteren Kolleg*innen aus der Redaktion mit der Konzeptionierung einer Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein (NBK) betraut. Diese ist im Rahmen der Berlin Art Week vor kurzem eröffnet worden und beschäftigt sich anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums des Mauerfalls damit, wie sich sozialräumliche und urbane Strukturen in Berlin seither verändert haben. Insbesondere interessiert uns hier die Geschichte der Privatisierung und Neoliberalisierung Berlins. Interessant hierbei: Nach der Wende herrschten in Berlin Ambitionen vor, die Berlin zur Global City machen wollten. Und nicht selten verbanden sich diese Ambitionen mit einer nationalistischen Rhetorik, die auch ihren architektonischen Ausdruck finden sollte. Womit wir wieder bei „rechten Räumen“ wären. So schließt sich der Kreis.
Frederick Coulomb studierte Soziologie und Humangeographie in Frankfurt und Buenos Aires. Schwerpunkte waren hierbei eine kritische Auseinandersetzung mit Stadtforschung, Ökologie, Digitalisierung und Gesellschaftstheorie. Seine Abschlussarbeit hat er über „Infrastrukturen im Anthropozän“ geschrieben. Aktuell beschäftigt ihn die Frage, wie eine solidarische Stadt von Morgen angesichts von Digitalisierung, ökologischer und ökonomischer Krisen aussehen kann.