ARCH+ | Abschlussbericht Victor Lortie
Die Wechselbeziehung zwischen gebauter Umwelt und Gesellschaft besser zu verstehen war mir bereits vor Beginn meines Studiums ein wichtiges Anliegen. Ich hatte schon lange den Wunsch gehegt, mich als Stipendiat bei ARCH+ zu bewerben. 6 Monate sollte meine Zeit bei ARCH+ dauern; 18 Monate später bin ich immer noch dort.
ARCH+ ist nicht nur irgendeine Architekturzeitschrift: Seit 1967 beleuchtet sie die Frage, wie unsere gebaute Umwelt zustande kommt, aber auch – und vor allem – warum. Erst wenn wir die materiellen Bedingungen verstehen, unter denen die uns umgebenden Gebäude, Städte und Landschaften entstehen, können wir ihre Wirkung auf Menschen und Umwelt begreifen. Ohne dieses Verständnis verbauen wir uns als Gesellschaft wortwörtlich die Zukunft.
Dabei sind viele Fragen, die wir uns in Bezug auf größere räumliche Gerechtigkeit stellen – das habe ich bei ARCH+ schnell gelernt – nicht neu. Debatten und Diskurse müssen nicht jedesmal von vorn begonnen werden; ein Blick auf die Kämpfe von gestern kann sogar lehren, bestimmte Fallstricke von morgen besser zu erkennen. Das wurde mir eindrücklich bewusst, als ich an der Heftproduktion der Ausgabe 249 “Learning Spaces” unter meinem Kollegen Mirko Gatti eingearbeitet wurde. Das Heft stellte die Frage, wie Lernräume in der Zukunft – insbesondere vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung – aussehen sollen. In der Vergangenheit wurde diese Frage jedoch schon mehrmals aufgeworfen. E-Learning reicht als Konzept in die 1960er-Jahre zurück, damals hieß das neue Forschungsfeld der Mensch-Maschine-Interaktion Kybernetik. Einige experimentelle Schulen und Universitäten aus dieser Zeit stehen noch heute, andere wurden abgerissen und vergessen. Der Rückbezug auf die Vergangenheit ist also essenziell, wenn unsere Gebäude von heute nicht schon bald überholt sein sollen, zumal die ökosoziale Krise es gebietet, immer weniger uns immer schonender zu bauen.
Parallel zur Arbeit an “Learning Spaces” wurde ich von meinen Kollegen Jakob und Felix – beide ehemalige Sto-Stipendiaten bei ARCH+, die mittlerweile Redakteure waren – gebeten, mich in die Konzeption des übernächsten Hefts, ARCH+ 251 “Unternehmen Architektur”, einzubringen. Die Zusammenarbeit war ein entscheidender Moment meines Stipendiums, weil mir nun relativ viel Verantwortung übertragen wurde, die ich mit Freude annahm. Gemeinsam erforschten wir die Grenzen von Idealismus und Kommerz und untersuchten, wie Architekt*innen angesichts der Krisen im 21. Jahrhundert die Komplexität der Leitung ihres eigenen Büros oder der Teilnahme an großen Architekturprojekten bewältigen. Unsere gemeinsamen Bemühungen, die von unseren unterschiedlichen Hintergründen geprägt waren, ermöglichten es uns, ein Heft zu konzipieren, das sowohl für Praktiker*innen als auch für angehende Architekt*innen wertvolle Einblicke und Fragestellungen bieten würde. Die Erfahrungen dieser Heftproduktion gaben mir die Lust, mindestens bis zur Erscheinung des Hefts im März 2023 bei ARCH+ zu bleiben.
Sowohl "Learning Spaces" als auch “Unternehmen Architektur” waren Plattformen der Reflexion. Immer wieder zwischen der Position eines Redakteurs und der Position der Leser*innen zu wechseln half mir, selbst Sachverhalte besser zu verstehen und komplexe Themen in ihre Bestandteile zu zerlegen.
Ich möchte mich herzlich bei der Sto-Stiftung für die Förderung meines Stipendiums bei ARCH+ bedanken. Die gesammelten Erfahrungen haben mich dazu bewogen, auch nach Ablauf der sechs Monate als Redakteur bei ARCH+ weiterzuarbeiten; das angeeignete Wissen hätte ich an keiner Universität dieser Welt lernen können.
Die Abschlussberichte werden von den Stipendiatinnen und Stipendiaten selbständig erstellt.