Stefan Prattes | 'Naked Island' - Titos Hawaii
1949 wurde unter der Herrschaft von Tito die Gefängnisinsel auf Goli Otok errichtet. Ursprünglich diente sie nur der Inhaftierung von politischen Häftlingen, ab 1955 wurden auch Kriminelle gefangen gehalten. Unter den Gefangenen herrschte eine strenge Hierarchie: Alle Neuen wurden „Banditen“ genannt. Sie bekamen am wenigsten Schlaf, Essen und Wasser, mussten die härtesten Arbeiten verrichten, wurden am schlimmsten gefoltert. Erst, wenn sie begannen, sich „reumütig“ zu zeigen, indem sie etwa Familienangehörige denunzierten, durften sie aufsteigen. Die nächsthöhere Stufe waren die „revidirci“, die zwar weniger hart gefoltert wurden, dafür aber ständig für den Erhalt ihres Status kämpfen mussten - wieder zum Banditen zu werden, ging schneller als man dachte, berichten Zeitzeugen. Auf der höchsten Stufe standen die „Aktivisten“. Das waren die, die am besten zuschlagen konnten. Von der Insel zu fliehen, war praktisch unmöglich: Niemand hatte die Kraft, kilometerweit zu schwimmen. Für zivilen Bootsverkehr war das Meer rund um die Insel gesperrt.
Goli Otok heute, ein kurzer Lokalaugenschein
Auf der beliebten Ferieninsel Rab vor der Kvarner Bucht ist Hochsaison. Wolken ziehen auf am August-Himmel - ein Anlass für manche, das Badetuch heute ausnahmsweise im Hotel zu lassen. Warum nicht einen Ausflug buchen? Zwei Mal täglich könne ein Bootsausflug auf das ehemalige Internierungslager gebucht werden. Heute haben zwei ältere Ehepaare mit Enkelkind die Tour gebucht. Auf der zehnminütigen Überfahrt auf die Insel dokumentieren sie per Gruppenfoto mehrmals ihre blendend gute Laune. Dass der Tour-Guide fragt, ob er „ganz kurz“ etwas über die Insel erzählen soll, hören die Urlaubenden gar nicht. Wer unwissend hierher gekommen ist, kehrt unwissend zurück. Nichts zeugt von den Gefolterten: Jegliche Beweise hat die Geheimpolizei bei der Schließung des Lagers, 1988, vernichtet. Abschließend gönnt man sich unter musikalischer Dauerbeschallung noch eine köstliche Portion gebratener Makrelen oder Cevapcici und freut sich auf das klimatisierte Hotelzimmer.
Goli Otok morgen, ein Bewusstwerden unmenschlicher Umstände
Mit dem Projekt „Naked Island“ wird den Besuchern das Befinden der einstigen Häftlinge beim Ankommen an der Gedenkstätte spürbar gemacht. Kaum verlässt das Shuttleboot die Plattform, steht man völlig hilflos auf einer 3600m² großen Ebene, die nur durch das Meerwasser begrenzt ist. Glühende Hitze im Sommer, ohne Schatten, eisiger Borawind im Winter, auf kahlem Untergrund entwickeln sich in kürzester Zeit zu äußerst unangenehmen Begleitern. Die Sehnsucht, von diesem unerträglichen Ort zu verschwinden, wächst und wächst. Niemand kann erahnen, was auf einen zukommt. Nicht zu wissen, was als nächstes passiert und wie lange man auf dieser künstlichen Insel ausharren muss, ist in diesen Minuten in den Köpfen der Besucher präsent. Genau diese Umstände und Gedanken waren tägliche Begleiter von Vladimir Bobinac. Er war politischer Häftling auf Goli Otok. Seine Arbeit war es, Steine von einer Stelle zur anderen zu tragen und wieder zurück, wieder hin, und wieder zurück. Ohne Sinn und ohne Bestimmung. Zu Trinken gab es zwei Deziliter Wasser am Tag.
Beim Abschreiten des „Naked Island“ entdeckt man im südlichen Randbereich eine dunkle Fläche, die auf eine Vertiefung hindeutet. Von dort aus gelangen die erschöpften Besucher in den Bauch des Volumens. Schatten, kühle Temperaturen im Sommer, Windstille und beheizte Räume im Winter liefern einen Kontrast zu der davor gefühlten Ewigkeit.
Die Ausstellungsräume sind ringförmig um einen Zentralraum, der als Verteiler fungiert, angeordnet. Ausstellungskonzept: Nach jedem Themenraum gelangt man wieder in den neutralen Zentralraum und verarbeitet die Gedanken bei gleichzeitigem Sichtbezug zur Plattformunterseite, mit ihrer Schatten spendenden Funktion. Die eingangs erlebte Situation referenziert auf den Ausstellungsinhalt und wird erst dadurch verständlich. Es kommt zu einer psychischen und physischen Erfahrung, die den Besuchern unvergessen bleibt.
Goli Otok ist unbetretbar. Jeder Kontakt mit diesem grausamen Ort wird unterbunden. Mit diesem Verbot wird das "Terrorsystem Goli Otok" ins öffentliche Gedächtnis zurück geholt.
Stefan Prattes ist Preisträger des interior scholarship 2015. Mit dem Stipendium von AIT und Sto-Stiftung werden Innenarchitekturstudenten für ihre Ideen und kreative Denkweisen ausgezeichnet.
"Prattes betrachtet Innenarchitektur und Architektur als nicht trennbare Einheit – beide Disziplinen eint der präzise Umgang mit Raum, Objekt, Licht und Materialität. Sein Entwurf für ein nomadisches Möbelstück ist ebenso reduziert wie originell."