Skandinavische Baukunst an der TU Graz
An der Schwelle zwischen Mitteleuropa und Skandinavien, an der kalten Nordsee, liegt Dänemark. Ende November sind die Nächte dort schon sehr lang, die Temperaturen niedrig und der nächste Sommer weit weg. Kein Wunder also, dass sich die Sehnsucht der Menschen nach Licht und Wärme in der skandinavischen Architektur so deutlich niederschlägt. Dorte Mandrup, die seit 1999 das Architekturbüro Dorte Mandrup Arkitekter ApS leitet, bringt zum Finale der November Talks 2012 dänische Baukunst in die Aula der TU Graz.
Mit den ersten Assoziationen, die „skandinavisches Wohnen“ unweigerlich auslöst, liegt man bei Dorte Mandrup durchaus richtig: schlichtes, funktionales Design, lichte Ästhetik, die mit fröhlichen Farben spielt, geometrische Formen, und das alles auf engstem Raum realisiert. Mit dem „Lesenest“ treibt Mandrup minimalistisches Design auf die Spitze: Auf den 9,8 Quadratmetern des transportierbaren Wohnwürfels kann man schlafen und arbeiten. Eine Tür, ein Fenster, ein Bett, ein Tisch – alles, was man braucht, verpackt in gewachstem Birkenholz. Beheizt wird er Würfel durch die Körperwärme des Bewohners.
Großer Spielplatz für Kinder
Beim nächsten Projekt sind die Räume größer, dafür die Bewohner kleiner. Die Kopenhagener Kindertagesstätte Skanderborggade ist ein einziger, riesiger Spielplatz: Bunte, verwinkelte Gässchen und Rampen, Nischen zum Verstecken, semitransparente Paravents und helle, freundliche Räume schaffen eine verspielte und anregende Atmosphäre für die Ein- bis Dreijährigen. In Dänemark werden Kinder mit einem Recht auf einen Krippenplatz geboren – eine große Anzahl an Tagesstätten wurde daher in der letzten Zeit im ganzen Land gebaut, alle rasch und mit knapp bemessenen Budgets. „Das sehe ich als Herausforderung“, meint Mandrup. Eine weitere Einschränkung brachte der Protest der Anrainer gegen ein fünfstöckiges Gebäude. Nur einen Stock durfte die Tagesstätte haben. Die Gartenanlage hat Mandrup einfach auf das Dach gepflanzt, über künstliche Hügel kann man sie erreichen. Der Innenhof ist geschickt aus dem Gebäude gehauen – möglichst viel kostbares Licht kann so eindringen.
Auch beim nächsten Projekt geht es um junge Menschen: Mit der Neugestaltung der Munkegåards Schule in Gentofte nördlich von Kopenhagen hat Mandrup das gesamte Areal „umprogrammiert“. Interdisziplinäres Lernen in offenen Kursen bestimmt den Unterricht in dieser Schule. Das verlangt zusätzliche Räumlichkeiten – etwa Chemie- und Physiklabors. Die Klassenräume sind unterirdisch, das von den Lehrern befürchtete beklemmende Kellergefühl stellt sich jedoch nicht ein. Über verglaste und mit weißen Streben gestaltete Öffnungen, die wie Kristalle wirken, gelangt nämlich Tageslicht nach unten und wird an den strahlend weißen Böden und Wänden reflektiert. Aus der alten Aula wurde eine Bibliothek. Die Stufen sind nicht einfach Stufen, sondern Möbelstücke: Die Kinder können sie bewohnen, dort lernen und spielen. Sogar die Toiletten haben ein Blumendesign bekommen und wirken freundlich und verspielt.
Funktionalität als oberstes Prinzip
Multifunktionalität ist auch das Stichwort für das nächste Design: Ein Gemeindezentrum, erbaut auf engstem Raum, das noch dazu energieeffizient beheizt wird – mit dem Bau des Herstedlund-Zentrums ist es Mandrup gelungen, alle diese Anforderungen zu erfüllen. Der vier Stockwerke hohe Würfel beherbergt ein Sportzentrum und mehrere Veranstaltungsräume. Glänzende Aluminiumplatten – abwechselnd ganz und perforiert – bilden die Fassade, an der eine Kletterwand integriert wurde. Rund um den metallenen Würfel wächst ein Wald heran, eine Skateboardrampe ist ebenfalls Teil des Konzepts.
Mehrfachnutzung auf engstem Raum – es gibt noch eine Steigerung: wohnen im Jægersborg Wasserturm in Gentofte. Unten Freizeitzentrum, in der Mitte Wohnhaus und oben Wassertank – dieses lokale Wahrzeichen zwischen zwei Autobahnen erinnert an ein gläsern-metallenes Jenga-Spiel. Die balancierenden, unregelmäßig gedrehten Quader zwischen viertem und achtem Stock beherbergen die 1-Zimmer-Wohnungen. Das Design lässt ein Maximum an Tageslicht in die ungefähr 30 Quadratmeter großen Wohneinheiten fließen: Sie wirken hell, aufgeräumt und gemütlich.
Auch beim nächsten Projekt dreht sich alles um eine Verwandlung: An vier bestehende Kommunalgebäude mit prominenten Giebeldächern schmiegt sich eine neu erbaute Sporthalle nahtlos an wie der Ärmel einer Fluggastbrücke an ein Flugzeug. Das Sport- und Kulturhaus Prismen in Kopenhagen ist von einer transparenten Polykarbonatfassade umhüllt, die tagsüber Tageslicht hindurchlässt und den Bau nachts wie einen Kristall erstrahlen lässt. Im Inneren des Sport- und Jugendzentrums bildet ein verzweigtes System aus Räumen und Gängen Platz für Freizeitaktivitäten von Joga bis Kampfsport.
Das Spiel mit Licht und Raum dominiert auch das letzte Projekt, das Dorte Mandrup vorstellt: Das Kinderkulturhaus auf der Insel Amagar bei Kopenhagen wirkt von innen wie eine Zeichnung von Escher – verwinkelte Ebenen und Stufen, alles weiß getüncht, Fenster, die nicht nur zur Seite, sondern auch nach oben zeigen, bilden Räume zum Spielen und Erleben. Der Komplex ist Teil einer Wohnanlage in den nördlichen Ausläufern Kopenhagens. Künstliche Steigungen und Hügel sind auch hier Teil des Konzepts. Und das ist wahrscheinlich kein Zufall: „Wir haben ein richtiges Trauma in Dänemark“, scherzt Mandrup. „Alles ist flach. Wir haben keine Berge wie in Österreich, also bauen wir sie.“ Auch bei diesem Design strahlen die Farben Fröhlichkeit und Licht aus – ein kostbares Gut in einem Land, in dem die Nächte besonders lange dauern. (Martina Magnet)
Mehr Infos über Dorte Mandrup Arkitekter ApS: www.dortemandrup.dk