Schlechte Gebäude töten mehr Menschen als HIV, Malaria und Ebola zusammen
Stuttgart. Im Jahr 1948 wurde die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen verkündet und gilt seither als Ziel und Leitstern der internationalen Entwicklungsarbeit. Der 25. Artikel dieser Erklärung beschreibt das Recht auf eine Wohnung und soziale Sicherheit. Auf diesen „Article 25“ bezieht sich der Name der gemeinnützigen Architektenorganisation von Robin Cross, der den letzten Vortrag der Stuttgarter Novemberreihe 2014 bestritt.
Wohnen, Infrastruktur und gute Gebäude sind kein Luxus, sondern ein fundamentales Grundrecht, betont Robin Cross, Geschäftsführer dieses ungewöhnlichen Architekturbüros. Die Zentrale und der eigene „think tank“ von Article 25 sitzt in London. Weltweit konnte die Organisation in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern in sogenannten „do tanks“ bereits zahlreiche Schulen und Gesundheitszentren realisieren.
„Schlechte Gebäude töten mehr Menschen als HIV, Malaria und Ebola zusammen, an den Folgen fehlender Infrastruktur wie einer sicheren Wasserver- und -entsorgung sterben über 3.000 Kinder, jeden Tag“, berichtet Cross. Um diese prekäre Situation zu verdeutlichen zeigt er Grafiken mit den Opferzahlen von vergleichbar starken Erdbeben in armen und reichen Ländern. Die schockierende Botschaft dieser Zahlen lautet: Gute Architektur und eine solide Bauweise verhindern wirksam die schrecklichen Zerstörungen und menschlichen Tragödien, die bei unadäquaten Konstruktionen in Erdbebengebieten geradezu vorprogrammiert sind. Daraus leitet sich auch der Arbeitsauftrag der Architekten ab. Diese bewegende Einführung wird begleitet von aussagekräftigen Aufnahmen aus Haiti von Häusern, die innerhalb von wenigen Sekunden während der Naturkatastrophe wie Kartenhäuser zusammenfielen.
Im Anschluss daran führt Robin Cross anhand der klassischen Leistungsphasen für Architekten durch seinen weiteren Vortrag und beschreibt den Entwurfs-, Planungs- und Bauprozess. Zunächst einmal stellt er der gespannten Zuhörerschaft Fragen: Wie funktioniert Planen und Entwerfen in Krisenregionen, wenn der potenzielle Bauherr beispielsweise kein Büro mehr hat? Was tun, wenn eine Verwaltung zwar Verträge unterschreibt – diese aber vor Ort nicht gelesen werden können? Wie eine Ortsbegehung machen, wenn der Baugrund eine gefährliche Ruine inmitten einer verschütteten Nachbarschaft ist? Statt langem Reden ist hier beherztes Anpacken gefragt: Denn Robin Cross ist davon überzeugt, dass nach einer Katastrophe die betroffenen Kinder so schnell wie möglich wieder in die Schule gehen müssen. Nur so haben sie die Chance, ihr Schicksal eines Tages selbst in die Hand zu nehmen.
Alle Arbeitsschritte benötigen einen genauen Blick auf die lokalen Gegebenheiten. Improvisation vor Ort ist gefragt, die auch die besondere Kreativität der Arbeit ausmacht: Welche Handwerkstechniken sind vorhanden? Welches Material gibt es und was kann daraus entstehen? Extreme funktionale wie ökonomische Zwänge führen zu unvorhergesehenen, pragmatischen Lösungen. Wenn vor Ort beispielsweise Lehmziegel hergestellt werden können, wird die Schule aus Lehmziegeln gebaut. Wenn günstige Dachlatten zu bekommen sind, muss die Konstruktion auf die vorhandenen Querschnitte angepasst werden. Eine nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe versprechen die gemeinsamen Bau-Workshops: So profitiert die Dorfgemeinschaft nicht nur vom fertigen Gebäude, sondern von der gemeinsamen Aufgabe, die Beschäftigung, sozialen Zusammenhalt und handwerkliche Ausbildung verspricht.
Robin Cross im Interview mit dem designbuild-network
Article 25
Zur Arbeitsweise von Article 25 About Us Presentation (Film | 3:21 Min.)
Robin Cross Die Menschenrechte als Arbeitsgrundlage (Film | 1:36 Min.)
Die Menschenrechte als Arbeitsgrundlage II (Film | 1:50 Min.)