Zum Hauptinhalt springen

Nachbericht | Wojciech Kotecki bei der November Reihe in Graz

Architektur zwischen Kreativität und Kapital

Vor 30 Jahren hat Polen den Kommunismus zu Grabe getragen – und mit ihm eine lange Bautradition. Oder doch nicht? Wojciech Kotecki, Gründer eines der erfolgreichsten Architekturbüros in Warschau, lieferte am 26. November 2018 zum Abschluss der Grazer November Talks der Sto-Stiftung spannende Einblicke in eine Architekturwelt, die einen akrobatischen Spagat zwischen Wolkenkratzern und Plattenbauten macht. Und dabei überzeugt.

Mit einem grauenhaften Bild des Massengrabs von Katyn berührte Wojciech Kotecki zu Beginn seines Vortrags das Publikum. In Katyn wurde 1940 ein Massaker an 4.400 polnischen Kriegsgefangenen verübt. Diese Tat gehört zu einer Reihe von Massenmorden an bis zu 25.000 Polen, die von den Sowjets begangen wurden. Der Ort wurde zu einem Symbol für dieses Grauen.

Die Aufgabe des von ihm mitgegründeten Büros BBGK Architects, das innerhalb von fünf Jahren auf 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewachsen ist, bestand in der Gestaltung einer Gedenkstätte für die Opfer des Massakers in der Nähe der Zitadelle im Stadtzentrum von Katyn. „Wie kann man Erinnerung in Architektur verwandeln?“, fragte er sich. „Sollen wir auf das Grauen setzen – oder lieber auf die Stille?“ Das Büro entschied sich für einen Pfad, den es zu entdecken gilt. Eine Allee symbolisiert den Ort des Geschehens, den Wald von Katyn. Beleuchtete Boxen zeigen persönliche Gegenstände, die bei den Toten gefunden wurden. Die einzig auffallende architektonische Intervention ist eine steile, von hohen Wänden eingefasste Treppe. Beengend und beängstigend wirkt sie bereits auf dem Foto. Das Projekt, das 2017 mit dem Mies van der Rohe Award ausgezeichnet wurde, zeigt, „welche Rolle Architektur übernehmen kann, wenn es darum geht, über Geschichte zu sprechen“, so Kotecki.

Was ist ein Rathaus mehr als ein Bürokomplex? Diese Frage stand im Zentrum des Projekts in den Warschauer Suburbs von Konstancin-Jeziorna. Für einen Polen liegt die Antwort auf der Hand: Es ist die Demokratie, wertvoll in einem Land, in dem sie noch jung ist. Ihr wollte Wojciech Kotecki mit einem Rathausbau Ausdruck verleihen, der Form und Funktion zu einer neuen Art Urbanismus verschmelzen lässt. Der Bau entstand nicht im Villenviertel, sondern in einer ärmeren Gegend. Man entschied sich bewusst für einen Ziegelbau, der sich in ein Reliefmuster kleidet – typisch für den ländlichen Stil Polens. Der Bau ist klar, geometrisch, mit viel Glas – Moderne und Tradition in einem gelungenen Wurf. Die Uhr darf an der Fassade nicht fehlen: Sie gehört auf jedes Rathaus. Eine elegante, filigrane, fast schwebende Stiege führt hinauf in den wichtigsten Raum, den Plenarsaal. In diesem „Symbol der demokratischen Macht“ findet sich das ländliche Muster wieder, auch heimeliges Holz: Demokratie fühlt sich gut an. Und damit das Volk sich vergewissern kann, dass seine Repräsentanten auch arbeiten, gibt eine großzügige Glasfassade den Blick nach innen frei. Das im Passivhausstandard gebaute Rathaus ist das energetisch nachhaltigste in Polen – ein weiterer Fingerzeig in Richtung Moderne.

Der Emilia Pavillon war eines der Überbleibsel des klassisch-kommunistischen Plattenbau-stils. Als er abgerissen werden sollte, war er bereits von zwei Wolkenkratzern umzingelt. Wojciech Kotecki und sein Büro intervenierten bis zum Bürgermeister und schafften es, den Bau zu retten, indem er Stück für Stück abgebaut und auf einem anderen Grundstück wieder errichtet wurde. „Ist das eine Win-win-Situation?“, fragt er sich. Er ist sich nicht sicher. Heute ist das neue, alte Gebäude ein Wintergarten mit Möglichkeiten zur sozialen Interaktion. „Manchmal kann Architektur Unmögliches möglich machen“, sagt er.

Alle Wohnhäuser waren in der kommunistischen Ära Fertighäuser, die Wohnungen glichen sich und wurden zugeteilt. Mit dem Zusammenbruch des Systems bekam die Bauweise einen äußerst schlechten Ruf. Moderne Wohnhäuser in Polen hatten anders zu sein – und sich am freien Markt bewähren. Die Begeisterung für den Kapitalismus erstickte jedoch den sozialen Wohnbau. BBGK Architects schafften daraufhin einen Präzedenzfall: Das Wohnhaus in Sprzeczna, inmitten gediegener Häuser aus dem 19. Jahrhundert, wurde als „Showcase des Plattenbaus“ gestaltet. Roter Beton, klare, reduzierte Geometrie, auffallende und sympathische Architektur, die attraktiven Wohnraum für das 21. Jahrhundert schafft, befreit vom Mief des Kommunismus und dennoch sozial und leistbar. „Wir haben das Vorurteil über den Plattenbau erfolgreich zerstört“, sagt Kotecki. „80.000 neue Wohnungen in Fertigbauweise sind bereits in Planung.“

Programm der November Reihe in Graz

Interview mit Wojciech Kotecki

Das Video-Interview in Englisch finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Sto-Stiftung.

Pressekontakt

a1kommunikation Schweizer GmbH
Oberdorfstraße 31 A
70794 Filderstadt
www.a1kommunikation.de

Bei Fragen können Sie sich gerne bei uns melden

Kirsten Ludwig
T.: +49 711 9454161-20
klu@a1kommunikation.de

Anne Bambauer, Stiftungsrätin Kommunikation
info@sto-stiftung.com