Architektur schafft Verhaltensweisen | Kim Herforth Nielsen
Der vierte Vortrag wurde von Kim Herforth Nielsen gehalten. Er erläuterte die Philosophie von 3XN. Nielsen betonte den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Kunst, der ihre Arbeit auf eine neue Ebene bringt: Architektur, die Räume und Umgebungen erschafft und nicht nur alleinstehende Einheiten innerhalb von Städten darstellt.
Das Treppenhaus ist eines der wichtigsten Elemente, das in der ikonischen Architektur von 3XN stets gegenwärtig ist. Es soll eine Interaktion zwischen Menschen und Funktionen erzeugen. Durch Lichtkunst und farbliche Materialien wird es als Ornament dargestellt und zur Skulptur erhoben, um Beziehungen zu fördern. In diesem Zusammenhang fungieren Treppenhäuser als Katalysatoren, die jedes Mal auf andere Weise untergebracht werden, um die Identität des Gebäudes auszudrücken und den Geist des Raumes widerzuspiegeln.
Das Verhalten der Nutzer ist ein weiterer Schlüssel zu den Entwürfen von 3XN. 2007 setzte das in Kopenhagen entworfene Ørestad-Gymnasium neue Maßstäbe für Schulgebäude, indem es den offenen Raum zur einer Metapher für die Wissensvermittlung machte. Das öffentliche Gymnasium ist weltweit für die bumerangförmige Treppe bekannt, die sich zwischen den verschiedenen Stockwerken windet und einen fünfgeschossigen Höhenraum erschafft. Während sich das äußere Volumen als Rechteck der Grundstücksgrenze anpasst, ist das Innere der Schule eine Art “Bücherstapel” mit einer Vielzahl von offenen Räumen, Zimmern und Funktionen, die miteinander zu einer internen Stadtlandschaft verschmelzen.
Nielsen ist der Ansicht, dass “Architektur Verhaltensweisen schafft”. Also fragte er sich, wie Architektur auch die Reaktionen und Bewegungen der Menschen innerhalb des Raumes erzeugen kann. Das Konzept der Synergie wird im Projekt Stadshuis Nieuwegein (2011) ausgenutzt, bei dem das Gebäude mit Mischnutzung als Verbindungselement für eine Stadt fungiert, die vorher in zwei Teile gerissen war. Für dieses Gebäude ließen 3XN sich von früheren Erfahrungen inspirieren. Beim Bau des Ørestad-Gymnasiums sammelten sie Informationen, um schneller und besser zu bauen. In diesem Gebäude optimieren die Materialhülle und die Anordnung des Treppenhauses das Tageslicht in den Büroräumen und Mensen, während die klar gegliederte äußere Form der Stadt nicht nur ein neues öffentliches Gebäude gab, sondern auch ein repräsentatives Wahrzeichen in der Baulandschaft.
Nielsen betrachtet es als eine der wichtigsten Herausforderungen eines Architekten, Kontextproportionen anzunehmen und zu untersuchen, um Gebäude entwerfen zu können, deren Proportionen zu der jeweiligen Umgebung passen. Die Middelfart Savings Bank (2010) ist ein Beispiel für gut geplante Skalierungseffekte. Das große Dach, das alle Funktionen des Blocks unter sich vereint, wird durch mehrere Fertigteil-Oberlichter fragmentiert, die den Blick auf den Kontext ermöglichen und die Innenräume vor direkter Sonneneinstrahlung schützen. Das Hauptelement der Sparkasse ist die Rautenform, die auf Elemente wie Oberlichter, Fenster und Baukörper angewendet wurde. Hier verbinden sich Ornament und Funktion zu einem Vieleckmuster, dessen Geometrie Olaf Eliasson durch Kaleidoskopröhren widerspiegelt.
3XN beziehen ihre Inspirationen aus vielen Quellen. Das neue Museum of Liverpool (2011) wurde durch die Geschichte des Standortes und die umstehenden Gebäude inspiriert. Die markante, dynamische Struktur platziert sich zwischen Stadt und Landschaft – auf einer Seite ahmt sie die dreidimensionale Textur der anderen Gebäude nach und greift auf der anderen Seite die ursprüngliche Funktion des Hafens auf und gibt dem Bauwerk die Form eines alten Schiffs.
Aufgrund seiner Funktion wurde der Blaue Planet (2013) von der Natur inspiriert, vor allem von der Unterwasserwelt. Ausgehend von der Form eines Wals nutzte der endgültige Entwurf den Whirlpool als Hauptelement, um den Besuchern ein Unterwassergefühl zu vermitteln. Als das größte und bedeutendste Aquarium Europas profitiert der Blaue Planet von seinem hervorragendem Standort und wurde zu einem innovativen und einzigartigen Bauwerk an der Ostsee. Die mit parametrischer Software optimierten Aluminiumfliesen reflektieren das Licht wie Wasser und vermitteln tagsüber den Eindruck von gestaltloser Bewegung, während veränderbare Lichtkunst nachts die Formen erhellt.
Neben anderen wichtigen, im Bau befindlichen Entwürfen wie dem Olympic Unity House (2014) und dem Lighthouse (2012) in Aarhus führt 3XN eine ganzheitliche, erweiterte Abteilung mit der Bezeichnung GXN ein, die grüne Strategien und neue Materialien für die Bauindustrie fördern soll. Die dynamische, innovative Außenverkleidung der Horten Headquarters (2009) wurde entwickelt, um neue Maßstäbe für nachhaltige Lösungen zu setzen. Die dreidimensionale Gebäudehülle aus Fiberglas und Travertin-Kalkstein hält die Sonne ab und ermöglicht Energieeinsparungen, die 10 Prozent über den dänischen Anforderungen liegen.
Die Architektur und die Entwürfe von 3XN konzentrieren sich auf die Bedürfnisse der Nutzer und auf die Inspiration durch die Natur als formgebenden Ansatz. Das Ergebnis sind Bauwerke, die von Publikum und Kritikern gleichermaßen geschätzt werden. Vor allem aber sind die Entwürfe stets Weiterentwicklungen der vorhergehenden Projekte, die aber dennoch wiederkehrende Elemente aufgreifen.
Vortrag von Kim Herforth Nielsen bei der November Reihe 2015 in Mailand
Architektur schafft Verhaltensweisen - folgen Sie dem kompletten Vortrag (Film | 1:05:50 Min.).