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Nachbericht | Peter St John bei der November Reihe 2017 in Graz

Tarnen, täuschen, transformieren

Die Fassade – façade – ist das Gesicht der Stadt. Ihre charakterstarken Züge erzählen die Geschichte der Architektur. Peter St John, Londoner Architekt, begreift seine Zunft als Referenz zu Vergangenem, fügt Neues in Altes ein, fast unauffällig, aber immer mit delikaten Statements der Moderne. Sein Vortrag am 20. November 2017 beschloss die November Reihe der Sto-Stiftung an der TU Graz.

Ein Grashüpfer, der aussieht wie ein Ast, ein Fisch, der aussieht wie ein Stein, eine moderne Schule, die aussieht wie eine Fabrikshalle. Mimikry – die auffallende Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Arten – ist ein beliebtes Motiv, nicht nur der gewachsenen Natur. Aber was auf den ersten Blick aussieht wie Hintergrund, entpuppt sich schnell als fein gewobenes, hochfunktionales und ästhetisch durchdachtes Objekt. Das Stichwort heißt Referenz. Peter St John beginnt seinen Vortrag mit einem Blick auf sein Exponat auf der Chicago Biennale: Handbemalte Holzmodelle zeigen Bauten des Büros, „gebaute, noch nicht gebaute und imaginierte“, an den Wänden hängen Fotos alter Gebäude: die Bezugspunkte, auf die seine Architektur permanent verweist. „Architektur heißt, die Kultur der Konstruktion zu verstehen“, sagt er. Städte entstehen üblicherweise nicht auf einen Schlag, „sie wachsen von alleine, wie ein Korallenriff.“

Das Lycée Hôtelier de Lille, Frankreich, fertiggestellt 2016, steht auf einem alten Industriegelände aus den 1980er Jahren. Anstatt den Komplex zur Gänze abzureißen, entschied man sich für eine Neuinterpretation des Bestehenden: Die moderne Schule versprüht den Charme einer alten Bahnhofshalle, es herrscht eine fast wehmütige Atmosphäre der Nostalgie, die Peter St John aber mit bunten Elementen jäh durchbricht. Rote Metallstreben verlaufen horizontal, gelbe vertikal. Die Büroräume, die Turnhalle, die Klassenräume und Unterkünfte sprechen trotzdem dieselbe Sprache wie die alte Fabrikshalle. Sogar der Garten infiltriert das Gebäude bewusst – so wie das wilde Gras, das vorher rund um die Werkshallen wuchs. „Wir fügen Neues hinzu und dadurch verändern wir das Bestehende“, erklärt St John. Der „Kampf Alt gegen Neu“ liegt ihm völlig fern. „Es geht darum, ein kraftvolles Ganzes zu schaffen.“

Wer so delikat mit Bestehendem umgehen kann, schreckt auch vor Gebäuden unter Denkmalschutz nicht zurück. In London steht an einer stark frequentierten Pendlerstrecke eine Häuserzeile direkt am Bahngeleise. Der Ziegelbau stammt aus den 1970ern und beherbergte eine Theatertischlerei und Werkstätten für den Kulissenbau. Jedes der drei Häuser ist einzigartig in seiner Form. Verschiedenfarbige Ziegel finden sich gemischt an der Mauer – „man verwendete, was gerade am betreffenden Tag mit dem Laster ankam“. Heute befindet sich im Inneren der Häuserzeile die Newport Street Gallery, eine private Kunstsammlung. Die Zwischenwände wurden aufgebrochen und Peter St John fügte links und rechts je ein weiteres Gebäude an. Die Erweiterungen führen die Sprache von Form und Fassade elegant weiter: ein Thema mit Variation. Die Ausstellungsräume im Inneren sind weiß getüncht, jeder Raum ist geometrisch anders. Drei unterschiedliche Wendeltreppen führen nach oben. Keine ist symmetrisch. Sie sehen in ihrer organischen Unregelmäßigkeit aus wie Schnecken, die sich in der Galerie niederließen und in die Form hineingewachsen sind.

Für den Hauptsitz der Bremer Landesbank konnte Peter St John tief in sein Arsenal der Fassadenkunst greifen. Auf einem Platz zwischen Dom und Rathaus gelegen, sollte das Gebäude charakterlich zur Umgebung passen, aber dennoch massive Modernität ausstrahlen. Peter St John gelang das mit einer exquisit geformten und akribisch berechneten, dicken, gemauerten Haut aus Klinkersteinen, die der sieben Stockwerke hohen Bank ein Gewand aus fließendem Steinstoff verleihen und sich von oben nach unten winden wie Zöpfe. So wirkt die Bank gleichzeitig wuchtig und beeindruckend in ihrer gotisch-senkrechten Anmutung, aber dennoch fein und delikat in ihren Details. „Unser Referenzobjekt waren die Fassaden in der South Michigan Avenue in Chicago aus der Jahrhundertwende“, berichtet St. John. Der Innenraum ist wieder weiß. Hier dringt der Eingang – ein gotischer Torbogen – wie eine Balgenkamera ins Innere vor, bleibt aber asymmetrisch. Ähnliche Elemente setzt Peter St John auch in einem Mehrzweckgebäude am Züricher Bahnhof ein: Auch hier verästeln sich senkrechte Elemente nach oben immer feiner, umfließen die Fassade wie organisch gewachsene, fraktale Strukturen. Der spitze Grundriss des Baus erinnert an großstädtische Bauten in Manhattan Anfang des 20. Jahrhunderts.

Ein kleines, intimes, aber umso beeindruckenderes Projekt beschloss die Grazer November Reihe 2017. Für die Kathedrale in St. Gallen, Schweiz, entwarf Peter St John einen Altarraum und gewann damit den Wettbewerb. „Das 150 Jahre alte Gebäude mit seiner barocken Innenausstattung verlangte nach einer starken Beziehung zum Bestehenden“, betonte St John. Er setzte einen modern anmutenden Stuhl und Altar auf ein Podium aus weißem Stein, dessen gerundete Treppen den Eindruck von Samt erwecken. Die gewundenen Weinreben sind nicht gemalt, sondern ein mit größter Handwerkskunst eingelegtes Metallfries. Auf den ersten Blick scheint es, als wäre der Altar immer schon Teil der Kirche gewesen – bis man die feinen, modernen Details genauer betrachtet.

Peter St John absolvierte sein Architekturstudium an der Bartlett School of Architecture und dem University College London und schloss 1984 bei der Architectural Association ab. Er arbeitete bei Richard Rogers, Florian Beigel, Dixon Jones und Arup Associates, bevor er sein eigenes Architekturbüro zusammen mit Adam Caruso gründete. Von 1990 bis 2000 lehrte Peter St John an der University of North London. Außerdem war er von 1999 bis 2001 Gastdozent an der Accademia di architettura in Mendrisio im Tessin und von 2001 bis 2004 am Department of Architecture and Civil Engineering der University of Bath. Gegenwärtig ist er externer Prüfer an der Scott Sutherland School of Architecture in Aberdeen sowie der Cardiff School of Architecture und Gastdozent an der London Metropolitan University.

November Reihe

Die November Reihe mit hochinteressanten Vertretern der zeitgenössischen Architektur gibt es mittlerweile an sechs europäischen Universitäten in Graz, London, Mailand, Paris, Prag und Stuttgart. Die Sto-Stiftung fördert die Veranstaltungen.

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