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Nachbericht | Fabio Gramazio bei der November Reihe 2017 in Mailand

Digitale Materialität in der Architektur

Fabio Gramazio (1970) gründete im Jahr 2000 zusammen mit seinem Partner Matthias Kohler das Architekturbüro Gramazio & Kohler. Gramazio ist Architekt und seine multidisziplinäre Forschung orientiert sich am computergestützten Design, Produktion mittels Roboter und Materialinnovationen. Er arbeitet in einem Labor der ETH.

Gramazio präsentierte einen breiten Review seiner Arbeiten und seiner Forschung in der Aula Magna des Polytechnischen Rektorats. Er wird von Professor Gabriele Masera vorgestellt, der den Wert von Gramazios stimulierender und provozierender Herangehensweise an die Architektur betont. Professor Masera hebt besonders hervor, dass die Beziehung zwischen Mensch und Maschine ein aktuelles Thema in der Architektur und vielen anderen Bereichen darstellt.

Gramazio’s Vortrag wird im treffenden Titel: “Digitale Materialität in der Architektur” zusammengefasst. Digitale Materialität ist ein innovatives Konzept, das von Gramazio und Kohler erfunden wurde und ihre ständige Suche nach den Auswirkungen auf die Architektur zum Ausdruck bringt, wenn Digitales auf Materielles trifft. Ihr Ziel ist es, dass dieses Konzept eine historisch gegensätzliche Perspektive überwinden und ein Gleichgewicht herstellen kann.

Gramazios erste Berührung mit der digitalen Welt geht in die 80er Jahre zurück, als Computer noch nicht Gaming-Maschinen waren, sondern Kinder das Programmieren als amüsantes Spiel entdeckten. In der ersten Hälfte der 90er Jahre erkannten Gramazio und seine Generation, dass ein radikaler Wandel bevorstand. CAD übernahm in der Architektur die Führung, aber dessen ungeachtet fehlte eine Verbindung zwischen dem Digitalen und dem Design. Der Einsatz von Maschinen wurde als notwendig erachtet, da er die Produktivität steigerte, aber in diesem Kontext gab es keinen Raum für Kreativität. Gramazio empfindet es so, dass es heutzutage einen Überfluss an Daten gibt und gleichzeitig einen Mangel an Materialität. Der Wechsel, den er verfolgt, führt daher von den Daten zum Material.

mTable war ein provokantes Projekt, das im Jahr 2002 durchgeführt wurde und das es ermöglichte, einen Tisch auf einem Mobiltelefon zu entwerfen: Es war möglich, den Tisch zu designen und die Information an eine Maschine zu senden, die einen richtigen, hölzernen Tisch herstellte. So entstand eine Verbindung zwischen Daten und Material. Die positive Botschaft, die diesem Projekt zugrunde lag, ist der Einsatz von parametrischem Design, der mit einem Wechsel des Designs auf ein anderes Niveau einhergeht. Parametrisches Design ist Teil unseres Denkens und unserer Kultur, als Ausdruck eines Designs, das auf Anforderungen beruht: dieses Konzept findet seinen Ausdruck im Private House (2004-09), eine Wohneinheit, die in mehr als 3000 Holzstücke eingehüllt ist. Das Zuschneiden der Holzstücke erfolgte durch digital gesteuerte Maschinen. Gramazio schlug dann vor, die Beziehung zwischen Mensch und Maschine zu überdenken, wie dies in The Machine and the Human zum Ausdruck kommt. Seine Entscheidung, industrielle Maschinen für die Architektur einzusetzen, war ein kreativer Akt, der betonte, wie in einem postindustriellen Szenario Maschinen den Menschen ebenso brauchen, wie Menschen die Maschinen. Der gravierende Unterschied zwischen Digitalisierung und Automatisierung besteht in der Idee, dass bei der Digitalisierung das Design immer noch ein menschlicher Akt ist und dass die Maschine hingegen zum Produzieren und Dinge tun da ist und es keinerlei Überlappung gibt.

Eine Reihe von Beispielen für dieses Konzept wurden von Gramazio gezeigt; bei Structural Oscillation, einer Installation für die Biennale 2008 in Venedig wurden industrielle Maschinen eingesetzt, um die Backsteinwand des Swiss Pavillon aufzubauen. Der Einsatz von parametrischem Design hatte auch strukturelle Gründe: Da es kein Fundament gab, machte die Wand einen Bogen und einen Gegenbogen, um so Stabilität herzustellen. Beim Sequential Roof wurden Maschinen, die sonst verwendet wurden, um identische Teile herzustellen, dafür genutzt, um neue und verschiedenartige Holzelemente zu produzieren: 5000 Holzstücke wurden zugeschnitten, platziert und mittels Nägeln zusammengebaut, um ein Dach mit 2300 m2 Fläche zu schaffen.

Nach diesem eindrucksvollen Review architektonischer Arbeiten präsentierte Gramazio einige eher spekulative und poetische Forschungsarbeiten, die sich mit der Beziehung zwischen Digitalem und Materiellem beschäftigen, wie zum Beispiel die Remote material deposition, bei der sie einen Roboter entwickelten, der Lehmstücke abschoss, um eine wandartige Struktur zu erzeugen. Beim Rock Print, der an der Architektur-Biennale in Chicago gezeigt wurde, haben sie das Konzept der Verstopfung untersucht, bei der eine große Anzahl Teilchen (Kies) in einen Raum gepackt wurden und die verbindende Spannung durch einen Stahldraht erzeugt wurde, der durch einen Roboterarm in einem algorithmisch bestimmten Muster verlegt wurde.

Gramazios Arbeiten bewegen sich nun weiter zu utopischen Konzepten, bei denen es eher um reine Spekulation als um Konstruktion geht: Bei der Aerial Construction wurden Drohnen eingesetzt, um eine Seilbrücke zu bauen und bei Flight Assembled Architecture schufen fliegende Roboter den Prototyp eines vertikalen Dorfs im Maßstab 1:100.

Die anschließende Diskussion brachte ebenfalls einige interessante Reflektionen hervor: Gramazio betonte z.B. die Rolle, die die Nutzung der Digitalisierung bei der Erneuerung herkömmlicher Materialien wie z.B. Backsteine spielt. Die Digitalisierung führt in der Tat zu einem Perspektivenwechsel und erfordert, dass man experimentiert: Es geht hauptsächlich um Kreativität und weniger um Produktivität.

Gramazio schloss seinen faszinierenden Beitrag mit 5 wesentlichen Erkenntnissen, die sein Schaffen und Forschen zusammenfassen: Die Verwendung einfacher Materialien zusammen mit digitaler Technologie kann „informiertes“ Material schaffen und deshalb eine Verbindung zwischen Daten und Material herstellen (1). Beim Bauwesen sollte es ein Umdenken geben, da sich die Logik mit dem technischen Fortschritt ändern kann (2). Die Prozesse sollten sich ebenfalls ändern und wir sollten vor dieser Veränderung keine Angst haben (3). Der Einsatz von digitalen Strategien in der Architektur hat auch ein sinnliches Potenzial (4), besonders, wenn es uns gelingt, das Denken in Gegensätzen aufzugeben: Das Digitale schließt andere Vorgehensweisen nicht aus, sollte aber Werkzeuge und Reflexionen für die Herausforderungen in der Architektur und im Bauwesen liefern.

Interview mit Fabio Gramazio

Das Video finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Stiftung.

November Reihe

Die November Reihe mit hochinteressanten Vertretern der zeitgenössischen Architektur gibt es mittlerweile an sechs europäischen Universitäten in Graz, London, Mailand, Paris, Prag und Stuttgart. Die Sto-Stiftung fördert die Veranstaltungen.

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