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Marc Mimram | Marc Mimram | Paris

Am 17. November präsentierte Marc Mimram seinen Vortrag über zeitgenössische Architektur.

Marc Mimram: Die Umstände des Werks

Marc Mimram verfügt über eine zweifache Ausbildung: Er ist Architekt und Bauingenieur. Seit der Gründung seines Büros in 1981 hat er zahlreiche Hochbau- und Infrastrukturprojekte in Frankreich und weltweit verwirklicht. Es scheint, dass ihm diese Zweigleisigkeit eine gewisse kritische Gelassenheit gegenüber den Standpunkten und Werken seiner Kollegen beider Berufsgruppen - Architekten wie Bauingenieuren - verliehen hat. Sie hat offensichtlich geholfen, die Fehler, die man diesen beiden Berufen häufig vorwirft, zu vermeiden. Die hybride Berufstätigkeit und die daraus gewonnenen Einsichten haben es Mimram erlaubt, die Problematik des „anderswo Bauen“ besonders einfallsreich und sachverständig anzugehen.

„Das Anderswo“ ist für Marc Mimram Bestandteil des projektorientierten Denkens. So sagt er in der Einführung zu seiner Konferenz: „Das Projekt beginnt anderswo“ und veranschaulicht seine Äußerungen mit Bildern gigantischer Aufschüttungen des Mineralienabbaus. Die Frage nach dem Ursprung der Baumaterialien veranlasst den Bauingenieur darüber nachzudenken, welche Verantwortung am Wandel der Welt er trägt. Das Gefühl der Verantwortlichkeit angesichts der Vielschichtigkeit eines zeitgenössischen Projekts (technische, wirtschaftliche, geografische, soziale, ökologische und gestalterische Herausforderungen) hat Mimram dazu gebracht, das Streben nach dem Vollbringen waghalsiger Leistungen, das so viele Ingenieure antreibt, zu vernachlässigen. Es interessiert ihn nicht, immer höher, immer schlanker, immer leichter zu konstruieren. Er zieht es vor, die ganzheitliche Leistung einer Konstruktion in Betracht zu ziehen und erinnert uns beispielsweise daran, dass der Einsatz von Aluminium, einem Material mit hervorragenden physikalischen Eigenschaften, aufgrund der Produktions- und Recycling-Bedingungen weit umstritten bleibt.

Neben der fehlenden Begeisterung für die Leistung als solches, zeichnet sich Mimram durch die Ablehnung vereinheitlichter konstruktiver Lösungen aus, wie beispielsweise der „Brücke von der Stange“, die Standard geworden ist, seit sich ihre technische Leistungsfähigkeit und ihre Wirtschaftlichkeit erwiesen hat. Mimram strebt vor allem danach, dass seine Projekte eine reiche und bedeutsame Beziehung zu ihrem Standort entwickeln, damit sie nach ihrer Realisierung vollständig in ihrem Territorium verankert zu sein scheinen.

Es ist der Wunsch vieler Architekten, Projekte zu schaffen, die in ihrem Kontext verwurzelt sind. Aber häufig beschränkt sich der Entwurf darauf, dem Projekt einen „regionalen Anstrich“ zu geben, indem Bezüge zu Ornamenten, Stilen, Typologien, Raumordnungen oder Stimmungen einer Kultur in die Erklärungen und Bildern bzw. in die äußere Form des Projekts eingeflochten werden. Und diese Bezüge beruhen häufig auf einer vereinfachten Vorstellung dieser Kultur. Dieses Konzept, welches darauf abzielt, das Projekt seiner Umgebung durch hinzugefügte kulturelle Referenzen anzupassen, läuft immer Gefahr, orientalistischen Banalitäten oder reduzierter Folklore zu verfallen. Es mag Marc Mimram gelegentlich gefallen, die Räume, die er entwirft, mit einheimischen Architekturbegriffen zu umschreiben - beispielsweise wenn er sich einen Bazar unterhalb der Rampe der Hassan II. Brücke in Rabat vorstellt - sein Bestreben, Projekte zu schaffen, die in ihrer Umgebung verankert sind, nimmt aber nie die Form ästhetischer oder formaler Anspielungen auf die regionale Kultur an. In Wirklichkeit zieht Mimram andere spezifische Merkmale des Orts in Betracht wie beispielsweise die Landschaft, Sitten und Gebräuche der Einwohner oder aber baugewerbliche Gegebenheiten (handwerkliches oder industrielles Know-how, Auftragsbedingungen). All diese menschlichen und materiellen Überlegungen bleiben bei dem auf kulturelle Referenzen beschränkten Ansatz, sei er nun formal oder abstrakt, unberücksichtigt.

Sein Interesse für die Produktions- und Annahmebedingungen vor Ort haben Mimrams projektbezogene Entscheidungen bei vielen Projekten stark beeinflusst. Er versteht es, Nutzen daraus zu ziehen, für sein Werk und für den Standort. Tatsächlich zieht Mimram das Know-how der lokalen Baubetriebe klarsichtig und ohne vorgefasste Meinung in Betracht. Statt zu versuchen, traditionelle Bauweisen zum Leben zu erwecken, die einen nostalgischen Wert haben, setzt er auf die tatsächlichen Kompetenzen der Einwohner. So hat er bei der Konstruktion der Feng Hua Brücke in China die Fertigung der „Blütenblätter“ einem kleinen Unternehmen vor Ort anvertraut. Dieser Betrieb hat sich dafür entschieden, die „Blütenblätter“ auf der Grundlage digitaler Modelle des Büros an Ziegelsteinöfen zu fertigen, die eigens von Hand errichtet wurden. Die Arbeiter legen die Stahlprofile auf diese Öfen, um so deren Oberflächenstruktur zu übernehmen. Da das Unternehmen über keine ausreichend große Fabrik oder Werkshalle verfügte, improvisierte es eine Fertigungslinie auf einem brachliegenden Gelände und verwandelte das Ödland in ein gigantisches „Meer von Blütenblättern“ . Bei der Brücke von Zhong Sheng Da Dao handelt es sich um eine Betonkonstruktion. Diesmal nutzt Mimram die Erfahrung der lokalen Unternehmen, Bleche für Schiffsrümpfe zu verarbeiten, für die Herstellung außergewöhnlicher Schalen mit zweifacher, umgekehrter Krümmung.

Mimram stützt sich bei der Planung auch auf die Kenntnisse derer, die vor Ort eine Rolle spielen, speziell der Bauherren. Jenseits des autoritären Regimes, mit dessen Hilfe sich bestimmte administrative Prozeduren beschleunigen lassen, herrscht in China eine starke Konkurrenz zwischen den Bürgermeistern der sich entwickelnden Städte, und die neuen Infrastrukturen sind zu Ikonen städtischer Politik geworden. Mimram entwirft daher radikale, verblüffende Projekte, die er selbst „Jokes“ nennt: „Ein Projekt = eine Idee“. Diese grundlegende Idee entspringt nie einer Anspielung auf die regionale Kultur, sondern meistens einer technischen gestalterischen Eingebung, aber die kulturellen Metaphern stellen sich oft unausweichlich wieder ein, sobald das Vorhaben vollendet ist. So haben die Einwohner von Yangzhou die schmale Fußgängerbrücke Liu Shu mit dem Blatt einer Weide verglichen, einem Baum, der in der chinesischen Kultur eine besondere Bedeutung hat. In den sanften Wellen sehen sie einen Verweis auf die präzisen Bewegungen der alt überlieferten Kampfsportart Tai-chi-chuan.

Die Aufmerksamkeit, die Marc Mimram den Gegebenheiten vor Ort, in menschlicher wie in materieller Hinsicht schenkt, ist aufrichtig. Er schafft dadurch ausdrucksstarke Bauwerke, die an ihrem Platz sind und einen Unterschied machen. Ihr Verhältnis zu ihrer Umgebung ist mehr als zweckorientiert; für die Einwohner haben sie einen tiefen symbolischen und emotionalen Stellenwert.

Video-Interview mit Marc Mimram

Das Video finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Sto-Stiftung

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